Wechsel an der Spitze des badischen Industrieverbands: Thomas Burger hat sich satzungsgemäß nach sechs Jahren als WVIB-Präsident verabschiedet, Bert Sutter tritt seine Nachfolge an. Ein Gespräch mit dem scheidenden und dem neuen Präsidenten über die Herausforderungen, die mit dem Amt verbunden sind.
INTERVIEW: KATHRIN ERMERT
Herr Burger, als Sie 2017 WVIB-Präsident wurden, war die Welt eine andere. Welche Veränderungen haben Sie am meisten beschäftigt?
Thomas Burger: Die Rahmenbedingungen waren turbulent. Die Entwicklungen, die wir in den letzten sechs Jahren global erfahren haben – die Coronapandemie, der Angriffskrieg Russlands und jüngst auch noch der Überfall der Hamas auf Israel – transferieren sich auf die Wirtschaft. Der Export war sehr beeinträchtigt, Lieferketten sind zusammengebrochen und unsere Mitgliedsunternehmen hatten zeitweise keine Auslastung. Das hat mich umgetrieben. Auch die Transformation der Mobilität und der Energieversorgung beschäftigen uns als mittelständische Unternehmer. Ich bin der typische Mittelständler aus dem ländlichen Raum – das war auch ein Thema, das mich in meiner Präsidentschaft bewegt hat: für den ländlichen Raum zu kämpfen und die damit verbundenen Herausforderungen wie Digitalisierung, schnelles Internet, stabiles Funknetz, Straßen- und Schieneninfrastruktur.
Welche Ziele, die Sie zu Beginn hatten, konnten Sie umsetzen?
Burger: Ein großes Thema war der Stiftungslehrstuhl in Offenburg für Robotik und Kobotik. Den haben wir zusammen mit 14 Mitgliedsunternehmen im Wintersemester 2022/23 ins Leben gerufen. Es hat zwar etwas länger gedauert als wir Unternehmer das gerne gehabt hätten, bis die Professur besetzt werden konnte. Aber am Ende haben wir mit Thomas Wendt eine sehr kompetente Persönlichkeit gefunden, die schon an der Hochschule Offenburg tätig war. Ein zweiter Schwerpunkt war es, die politische Ebene stärker zu bespielen. Ich wollte den Mittelstand in den Vordergrund rücken, damit er nicht nur in politischen Sonntagsreden vorkommt, sondern auch in der politischen Realität. Da hätte ich mir an manchen Stellen mehr Gehör gewünscht. Bei der Entbürokratisierung ist die Politik zum Beispiel immer noch in der falschen Richtung unterwegs. Auch das Familienunternehmen war für mich ein wichtiger Punkt. Die Mehrzahl der WVIB-Unternehmen sind eigentümergeführt oder Familienunternehmen mit Fremdgeschäftsführer.
“Der Mittelstand muss in der politischen Realität vorkommen. Da hätte ich mir mehr Gehör gewünscht.”
thomas burger
Was war für Sie die Motivation, sich zu engagieren? Hat es Ihnen auch persönlich und Ihrem Unternehmen etwas gebracht?
Burger: Man muss bereit sein, das zeitliche Engagement auf sich zu nehmen und sich aktiv einzubringen. Aber natürlich hat man auch etwas davon und bekommt sehr viel zurück. Ich schaue mit einem Lächeln zurück und bin überzeugt, dass ich es wieder machen würde. Es hat viel Spaß gemacht – auch wenn es die ein oder andere Ernüchterung gab. Aber das sind die Erfahrungen des Lebens.
Wie zeitaufwendig war das Engagement? Der Tag hat nur 24 Stunden, und ein bisschen Schlaf braucht man auch …
Burger: Ich brauche wenig Schlaf, und wenn ich schlafe, schlafe ich gut. Es ist ganz wichtig, dass man abschalten kann. Meine Familie und meine Führungskräfte haben mich sehr unterstützt. Das andere ist ein gutes Zeitmanagement. Ich bin ja auch noch in anderen Ehrenämtern aktiv, beim Schwenninger Eishockeyteam Wild Wings, als Handelsrichter und in der IHK-Vollversammlung.
Herr Sutter, wie organisieren Sie sich, um jetzt den Freiraum für das Ehrenamt zu haben?
Bert Sutter: Ich habe nur ein Hobby – das Fischen – und das betreibe ich nicht sehr häufig. Ich bin schon seit fünf Jahren im WVIB-Präsidium, dadurch waren viele Termine schon gesetzt. Letztlich geht es also nur um das Delta – das muss man sich organisieren. Eine erweiterte Geschäftsleitung ist schon seit Jahren bei uns etabliert, mit vier Prokuristen, die erfahren und entscheidungsfähig sind.
Mit welcher Motivation rücken Sie beim WVIB in die vorderste Position?
Sutter: Irgendjemand muss es ja machen! (lacht) Der Verband ist wichtig, er leistet unheimlich gute Arbeit und bietet einen großen Mehrwert für diejenigen, die seine Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Das Projekt WVIB ist wertvoll für die Industrielandschaft im Südwesten. Es mitprägen zu dürfen, ist eine große Aufgabe. Da freue ich mich drauf. Und man kommt mit vielen interessanten Menschen zusammen, die das Leben bereichern.
“Ob ein Zulieferer oder ein Medizintechnikunternehmen aus Gründen des Kostendrucks automatisieren oder weil sie keine Leute finden, ist wurst.”
Bert sutter
Ein Manko beim WVIB ist der geringe Frauenanteil. Wie schaffen Sie es, mehr Frauen in die Führungspositionen zu bekommen?
Sutter: Ich wünsche mir mehr Frauen in Führungspositionen, aber ich kann sie nicht herzaubern. In der Industrie gibt es nicht ausreichend weibliche Führungskräfte, als dass man da stark rekrutieren könnte. Zum Teil haben sie Familie, dann fehlt einfach die Zeit für solch ein Ehrenamt. Bei mir im Unternehmen sind zwei der vier Personen aus der erweiterten Geschäftsleitung weiblich.
Welche Themen wollen Sie als WVIB-Präsident anpacken?
Sutter: Es kommen viele Herausforderungen auf die Unternehmen zu, die der Verband aufgreifen muss. Wir leben in einer Zeit, in der viele Freiheiten, auch die unternehmerische, unter Druck geraten. Freiheit ist aber die unabdingbare Grundlage für unternehmerisches Handeln. Da müssen wir im Verband mahnender Rufer sein. Wir brauchen die Stimme in der Gesellschaft, die sagt: Ohne diese Freiheiten werden wir weniger unternehmerisches Tun im Land haben und damit weniger Wohlstand.
Gibt es auch konkrete Vorhaben wie die von der EU geplante Einschränkung von PFAS-Substanzen, auf deren Folgen Sie schon aus dem Präsidium heraus aufmerksam gemacht haben?
Sutter: Bei PFAS geht es um Aufklärung, was kommen soll. Das reicht nicht als Programm für eine Präsidentschaft. Es lässt sich aber unter dem Thema Regulierung subsummieren. Wir haben zu viele solcher gut gemeinten aber schlecht gemachten Regeln. Damit ersticken wir unternehmerische Tätigkeit und wirtschaftlichen Wohlstand. Die Standortbedingungen wie Steuern und Regulierungen sind die Voraussetzung dafür, dass wir erfolgreich wirtschaften können. Ich verspreche Ihnen: Das nächste ähnlich konkrete Thema kommt.
Warum engagieren Sie sich für einen branchenübergreifenden Verband statt für eine auf Medizintechnik spezialisierte Organisation wie Medical Mountains, wo Ihr Unternehmen auch Mitglied ist?
Sutter: Der WVIB ist auch fokussiert – auf Industrie. Es gibt unheimlich viele Querschnittsthemen, die uns genauso interessieren wie die Burger Group oder andere Industrieunternehmen. Beispiel Fachkräftemangel. Durch den demografischen Wandel schaffen wir es gar nicht, ausreichend auszubilden. Deshalb ist Automatisierung ein großes Thema. Ob ein Zulieferer oder ein Medizintechnikunternehmen aus Gründen des Kostendrucks automatisiert, weil es keine Leute findet, ist wurst. Auch die Digitalisierung betrifft uns alle – von der App bis zu Industrie 4.0. Wir werden in den nächsten Jahren mit vielen Anwendungen der künstlichen Intelligenz konfrontiert, die uns helfen, uns aber auch vor neue Herausforderungen stellen. Alle reden davon, aber außer schickere E-Mails zu schreiben, nutzen es bislang die wenigsten.
Herr Sutter, in Ihrem Unternehmen und Ihrer Branche läuft es deutlich besser als in manch anderen Industrien …
Sutter: Ja, wir sind gerade in einer recht stürmischen Wachstumsphase – mit allen Schmerzen, die es dabei gibt. Jedes einzelne Unternehmen ist dafür verantwortlich, seinen Betrieb zu organisieren und sich auf die Rahmenbedingungen in der Branche einzustellen.
Herr Burger, wie geht es Ihrer Unternehmensgruppe?
Burger: Insgesamt wachsen wir derzeit moderat. Vor allem in den Nicht-Automotive Branchen, die sich etwa näher am Bau bewegen, ist eine Beruhigung zu erkennen und in der Freizeitindustrie — zum Beispiel beim E-Bike, wo wir zum Beispiel Hersteller professioneller Mountainbikeschaltungen beliefern.
Welchen Anteil des Umsatzes erwirtschaften Sie im Automotivesektor, immer noch etwa fünfzig Prozent?
Burger: Es sind zwischenzeitlich eher sechzig Prozent, weil wir weiter globalisiert und einen Standort in der kanadischen Provinz Ontario aufgebaut haben, der rein automotiveorientiert ist. Aber auch andere Branchen haben bei uns einen hohen Stellenwert. Mit unserem traditionsreichen Produkt, den mechanischen Werken von Kuckucksuhren, erreichen wir mittlerweile einen Weltmarktanteil von hundert Prozent, weil wir der einzige Hersteller sind. Diese Uhrwerke tragen allerdings nur anderthalb Prozent zum Umsatz bei.
Sutter: Ein börsennotiertes Unternehmen hätte den Bereich wahrscheinlich schon abgeschafft.
Burger: Das ist richtig, das betreiben wir aus Tradition und pflegen den Manufakturgedanken. Zu unseren anderen Nicht-Automotive-Bereichen zählen etwa die Gebäudetechnik, Hausgerätetechnik, Medizintechnik sowie Maschinen- und Anlagebau.
Wie sehr ist die Burger Group vom Verbrenner abhängig?
Burger: Wir stellen Produkte für die Karosse und den Fahrzeuginnenraum her, die antriebsstrangunabhängig sind. Ob sich der Kofferraumdeckel von einem Verbrenner oder einem E-Fahrzeug öffnet, macht keinen Unterschied, genauso wie Sitzverstellungen oder ähnliches. Der Verbrenner hat aber nach wie vor einen hohen Stellenwert bei uns, das sehe ich auch für die nächsten Jahre so. Es gibt von Kontinent zu Kontinent unterschiedliche Schwerpunkte. In Kanada hat zum Beispiel der Hybridantrieb durchaus Zukunft. Wir beschäftigen uns natürlich auch mit Elektrofahrzeugen und deren An-trieben, aber das ist noch kein Schwerpunkt bei uns.
Wie weit ist der Generationenwechsel bei der Burger Group vorangeschritten?
Burger: Die Nachfolge im Unternehmen ist auch in der Unternehmensstruktur geregelt. Meine Söhne sind geschäftsführende Gesellschafter, meine Tochter ist auch Gesellschafterin, aber nicht operativ tätig. Die Söhne, Zwillinge, sind 36. Fabian hat sechs Jahre lang den Standort in Kanada geplant, aufgebaut und geleitet. Manuel leitet seit mehreren Jahren verantwortlich zwei Unternehmen der Burger Group. Josephine ist 23 und arbeitet derzeit an ihrem Master.
Wann wollen Sie sich zurückziehen?
Burger: Wir pflegen den gleitenden Übergang. Wir haben mittlerweile elf Unternehmen in der Gruppe. Da hat jeder sein Betätigungsfeld, ohne dass man sich gegenseitig auf die Füße tritt. Aber es ist schon mein Ziel nach und nach – auch mit der jetzt beim WVIB durch die Weitergabe des Präsidentenamts gewonnen Freiheit – das ein oder andere zu tun, das mir in der Freizeit Spaß macht. Ich bin aktiver Reiter, habe selbst Pferde, das Land Kanada ist mir geschäftlich wie privat ans Herz gewachsen. Mir wird’s nicht langweilig.
Herr Sutter, gibt es bei Ihnen auch eine familieninterne Nachfolgeregelung?
Sutter: Nein, bislang nicht. Die Kinder sind erwachsen, aber die Entscheidung ist noch nicht gefallen. Unsere Tochter ist Sozialarbeiterin und in dem Bereich sehr glücklich. Unser Sohn hat BWL studiert und hat seine Karriere in der Medizintechnik begonnen. Ich bin 55 Jahre alt, da brennt es noch nicht ganz so arg.