In Schramberg produziert der familiengeführte Automobilzulieferer Kern-Liebers Schlagzeilen. Der langjährige Geschäftsführer und Verwaltungsratsvorsitzende Hans-Jochem Steim hat gemeinsam mit seinem Sohn Hannes das Unternehmen Ende 2021 verlassen. Außerdem ist er dabei, die Anteile seiner Familie zu verkaufen. Das “Wie” ist ein Beispiel für eine wenig gelungene Nachfolge mit Beigeschmack.
VON SUSANNE MAERZ
Was ist genau passiert hinter den Türen von Kern-Liebers? Und wie geht es nun weiter? Darüber wird in Schramberg – in der Presse und hinter vorgehaltener Hand – derzeit spekuliert. Die Beteiligten selbst hüllen sich in Schweigen. Das macht ordentliches Recherchieren schwierig, verleitet zu Mutmaßungen und birgt die Gefahr, falsch zu liegen. Was in Schramberg passiert ist, kommt in vielen Familienunternehmen vor. Die Brisanz des Falles Kern-Liebers liegt aber auch darin, dass der 79-jährige Hans-Jochem Steim nicht irgendwer ist. Nicht nur, weil er zehn Jahre im Landtag für die CDU saß und Ehrenbürger Schrambergs ist. Er hat das Unternehmen jahrzehntelang geprägt.
Uneins über die strategische Ausrichtung
Anfang Dezember verschickte Kern-Liebers eine Pressemitteilung, um den Ausstieg des Verwaltungsratsvorsitzenden Hans Jochem und des Geschäftsführers Hannes Steim bekanntzugeben. Als „Hintergrund“ wurden „die unterschiedlichen Auffassungen in der zukünftigen strategischen Weiterentwicklung der Kern-Liebers Firmengruppe als Familienunternehmen“ genannt und zudem Steims Absichtserklärung, die Firmenanteile seines Familienstamms zu verkaufen. Weil dieser Prozess noch nicht abgeschlossen ist, wollen sich derzeit weder Hans-Jochem und Hannes Steim, noch der Vorsitzende der Geschäftsführung von Kern-Liebers, Erek Speckert, oder ein Verwaltungsratsmitglied aus der Familie dazu äußern. Dies ließen beide Seiten auf Interviewanfragen hin ausrichten. Denn noch sind die Anteile nicht verkauft. An wen sie veräußert werden können und wer zustimmen muss, ist im Gesellschaftervertrag geregelt. Über Details schweigen sich die Beteiligten aus.
1888 als Zulieferer für die Uhrenindustrie gegründet
Allerdings informierten Hans-Jochem und Hannes Steim die Belegschaft der Uhrenfabrik Junghans Anfang Dezember persönlich, dass sich für sie nichts ändern werde. Vater und Sohn hatten das einst weltbekannte Schramberger Unternehmen nach dessen Insolvenz im Jahr 2008 gekauft und es bewusst nicht in die Kern-Liebers-Gruppe integriert. Die Begründung damals: Es passe nicht in das Profil des Automobil- und Textilzulieferers. Ironie der Geschichte: Die Firma Kern-Liebers wurde 1888 von Hans-Jochem Steims Urgroßvater Hugo Kern gegründet, um die Schwarzwälder Uhrenindustrie, allen voran die Firma Junghans, mit Zugfedern zu versorgen.
Federn machen noch heute einen großen Teil des Geschäfts von Kern-Liebers aus. Die Firmengruppe ist nach eignen Angaben globaler Technologieführer zur Herstellung hochkomplexer Teile und Baugruppen mit Schwerpunkten bei Federn und Stanzteilen. Bekanntestes Produkt des Unternehmens sind sogenannte Rückholfedern in Sicherheitsgurten im Automobil. Diese produzieren die Schramberger seit 1965 und zählen hierbei zu den fünf größten Herstellern weltweit. Den Namen Kern-Liebers trägt das Unternehmen seit der Fusion mit dem damaligen Konkurrenten Liebers aus Ingolstadt im Jahr 1971.
Der Konzern macht heute 60 Prozent seines Umsatzes mit Kunden aus der Automobilindustrie, gefolgt von der Textilindustrie (zwölf Prozent). Der Rest verteilt sich unter anderem auf Feinmechanik, Elektro- und Gebäudetechnik sowie Maschinen- und Anlagenbau. An 47 Standorten weltweit arbeiten 7.200 Männer und Frauen, davon 1.190 am Stammsitz in Schramberg-Sulgen. Im vergangenen Geschäftsjahr (bis 30. Juni 2021) betrug der Umsatz 734 Millionen Euro – 15 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum, als das Unternehmen von der Coronakrise stark getroffen war. Seit mehreren Jahren macht Kern-Liebers der Strukturwandel in der Automobilindustrie zu schaffen. Wechsel in der Geschäftsführung gab es in den vergangenen Jahren häufiger.
Schon in die Fußstapfen des Vaters getreten
So wurde denn auch Hannes Steim (Jahrgang 1978) im Sommer 2018 in die Chefetage der Firmengruppe geholt – zur „Identifizierung neuer Geschäftspotenziale“, wie es damals in der Pressemitteilung hieß. Seine Position des Chief Business Development Officers für das Geschäftsfeld Drahtfedern und Kunststoffverbund und damit die vierte Geschäftsführerstelle war angesichts des Wandels in der Automobilindustrie geschaffen worden und hatte das Ziel die Wachstumsziele der Gruppe abzusichern. Zuvor hatte Hannes Steim zwölf Jahre lang andere Positionen in der Firmengruppe inne, unter anderem als Geschäftsführer der Schramberger Carl Haas GmbH, die Kern-Liebers 2015 übernommen hatte. Er hatte also längst damit begonnen, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Was er nun vorhat? Leider kein Kommentar. Für ein Unternehmen in dieser Größenordnung ist das unüblich.
Hans-Jochem Steim war zu Beginn der 1970er-Jahre als Vertreter der dritten Generation in das Familienunternehmen eingestiegen und wirkte dort gemeinsam mit weiteren Familienmitgliedern sowie Externen. Ab 1991 war Steim Vorsitzender der Geschäftsführung. 2010 wechselte er in den Verwaltungsrat, dem er bis zum Jahresende vorstand, sprang aber auch mal interimsweise in der Geschäftsführung ein, wenn es dort wegen eines Wechsels eine Lücke gab. Noch im September war er von der Sparkassen-Finanzgruppe Baden-Württemberg für sein Lebenswerk mit dem Gründerpreis ausgezeichnet worden.
Erstmals nur externe Geschäftsführer
Wer folgt nun den beiden Steims nach? Hans-Jochem Steims Platz im Verwaltungsrat von Kern-Liebers hat zum Jahresbeginn Thomas Hubert eingenommen, der Schwiegersohn seiner Schwester Sibylle Drosten. Im Verwaltungsrat sitzen Familien- und externe Mitglieder – wie viele und wer genau, auch darüber hält man sich bedeckt. Wer der neue Vorsitzende wird, steht noch nicht fest. Die Aufgaben von Hannes Steim in der Geschäftsführung hat laut Pressemitteilung des Unternehmens „bis auf Weiteres“ der Vorstandsvorsitzende Erek Speckert übernommen, der vergangenes Jahr in dieser Position zu Kern-Liebers kam. Die Geschäftsführung ist nun rein mit Externen besetzt – zum ersten Mal seit der Firmengründung. Immerhin das bestätigt das Unternehmen auf Rückfrage.