Wenn es eines gibt, das Unternehmenschefs von Köchen lernen können, dann ist es- perfekte Organisation: „Mise en place“ heißt die Lehre des korrekten Vorbereitens, bis das fertige Produkt steht. Ein Check zwischen Theorie und Praxis.
Von Rudi Raschke
Der New Yorker Autor Dan Charnas hat sich die Mühe gemacht, die Arbeitsroutinen von rund 100 Top-Köchen in Gesprächen zu hinterfragen. Herausgekommen ist sein Buch „Work Clean“ (etwa: „Sauber arbeiten“) mit dem Untertitel „Die lebensverändernde Kraft des Mise en place für die Organisation von Leben, Arbeit und Geist“. Der französische Begriff bedeutet wörtlich etwa, dass die Dinge an den richtigen Platz gestellt werden. Für Dan Charnas ist es weit mehr: Die gute Selbst-Organisation, die es braucht, um in Ruhe alles vorzubereiten – damit der Laden läuft, wennalles unter Dampf steht.
„Runterfahren, um die Geschwindigkeit hochfahren zu können“, lautet eine seiner Metaphern aus der Herdwelt, die er als brutal effizient kennen gelernt hat. Letztlich gilt dort wie bei keinem anderen Wirtschaftszweig, dass keinerlei Verschwendung von Zeit, Raum, Personal und Material stattfinden darf. Charnas rät, sich jeden Abend für die Aufgaben des kommenden Tages 30 MInuten zur Niederschrift zu nehmen. Die größten Brocken zuerst. Wer damit besser klar kommt, kann sich auch morgens die halbe Stunde zur Vorbereitung nehmen. Als Ritual, sagt er, ist es dann verankert, wenn man es 40 Tage in Folge praktiziert hat. Zu seinen zehn Prinzipien gehören neben dem sauber-arbeiten („clean as you go“ kann auch fürs Schreibtisch-Leben gelten) eben auch das Abschließen der begonnenen Arbeitsschritte, das in der Küche unerlässliche Kommunizieren mit Feedback sowie natürlich auch Kontrolle und Korrektur.
Und nicht zuletzt kann man in Küchen natürlich lernen, dass jegliche Ablenkung (Handy, Mails, Social Media, Whatsapp etc.) abgeschaltet ist. Charnas’ Prinzip der „immersiven Zeit“ (vom Begriff des „Vertiefens“) gegenüber der „prozessualen Zeit“ regelt das Verhältnis zwischen zwei Arbeitsweisen: Dingen, die angeregt werden, schlicht das Ankurbeln des Herds für etwas, das dann köchelt und Dingen, die erledigt werden, wenn sie anfallen. Einer, der in der Region ohne eine solche Organisation nicht über die Runde käme, ist Oliver Rausch, Küchenchef des „sHerrehus“ im Freiburg-Munzinger Schloss Reinach. Ein Stern im Guide Michelin, seit 2013, aber lediglich Rausch und sein Co-Chef Christian Koch an den Herden, das setzt eine besondere Organsation voraus.
In diesen Tagen sind neben der Sterne-Küche und dem Tagungsbetrieb im Schloss (in Summe rund 250 Gänge pro Tag) auch die Aufgaben für die „Plaza Culinaria“- Messe vorzubereiten. Macht etwa 4800 kleine Portionen extra – für ein Benefiz-Dinner, für den Stand des Schloss’ in der Halle 3 und für die Halle 1, wo Rausch mit vier Sterne- Kollegen wirtet. Eine Stunde in der Küche am Mittag vorbeischauen heißt unter Mise-en-place-Gesichtspunkten: in unglaublicher Ruhe werden Grafefruit filetiert, Trüffel-Maronen-Knödel für die Plaza geformt, Schmoräpfel für den Tagesbetrieb vorbereitet, ein herbstlicher Jus mit Pfifferlingen angesetzt, Königsberger Klopse aus Lamm-Rinder-Hack geformt, eine Quittenlieferung in Empfang genommen, Salatsoße für ein Buffet gemacht und vieles mehr. Oliver Rausch hat sich die überschaubaren Kapazitäten für die Gestaltung seiner Menüs zu Eigen gemacht.
„Je mehr ich nach vorne schaue, desto mehr kann im Jetzt arbeiten“, sagt er. Die Lieferanten folgen seinem Timing, das Gemüse wird frisch vom Acker am Wochenanfang und am Freitag bezogen, es wird nachhaltig gearbeitet. Dazu gehört auch vakuumieren, fermentieren und gefrieren. Aber im Sinne einer Nachhaltigkeit, die auch Dan Charnas in seinem Buch empfiehlt, wenn nichts verschwendet werden soll: Gemüse wird durch die Fermentation saisonal unabhängig mit leichter Säure eingelegt, heimische Süßkirschen aus dem Sommer ersetzen schnöden Import beim Plaza-Dessert. Es ginge darum, so zu produzieren, dass die Qualität nicht leidet, sondern steigt, sagt Rausch. Die hohe Kunst sei es, beim abendlichen Anrichten alles zusammen kommen zu lassen, sagt Christian Koch.
Wenn die Gäste warten, sind die beiden vorbereitet. Und sie wissen, dass sie keine vielhändige Brigade haben, die an einem Teller mit sechs Komponenten gleichzeitig Hand anlegen kann. Zum Plaza-Gericht namens „Kalbsfilet Sous-vide / Rahmrüben / Trüffeljus“ gehört ein langsam gegartes, vorbereitetes Stück Fleisch, das live kurz angebraten wird, aber neben den genannten Beilagen eben auch etwas Knusper vom Freiburger „Oberlindenbrot“, Preiselbeere, Butter, Sahne und ein Hauchgehackter Kerbel. Da reicht es nicht nur, beim Aufbau der Messe alles mitzunehmen. Sondern Wochen zuvor zu bestellen und abzuarbeiten, was geht. „Wer faul ist, denkt mehr“, sagt Christian Koch selbstironisch über Strategien zur Hektik-Vermeidung.
Die vielfach zur Entspannung eingesetzten Kochkurse (bei Oliver Rausch meist am freien Sonntag) zeigten den Teilnehmern bereits, was man in zwei bis vier Stunden alles schaffen kann, wenn man gut vorbereitet ist und konzentriert arbeitet, sagt Rausch. Die Zukunft könnten tatsächlich Manager- Kurse in der Küche sein. Weniger um das Knowhow der Hobbyköche unter ihnen zu mehren, sondern deren berufliche Organisation. Darum, ihre Produktion auf Vollgas zu halten und trotzdem entspannt zu bleiben, dürfte es vielen Unternehmern gehen. Geht es nach dem Bestseller des New Yorkers Dan Charnas, dann könnte der neun-Stunden-Alltag in der Küche durchaus zur Blaupause für erfolgreiche Lebensund Arbeitsgestaltung taugen. „Slow down to speed up“ ist nicht die abseitigste Idee unserer Zeit.
Dan Charnas, Work Clean:
The life-changing power of miseen-
place to organize your life, work,
and mind (leider nur in Englisch erschienen),
Penguin Books