Aus Nachtleben wird Nachtökonomie – es gibt mehr und mehr Akteure, die die Stärkung des Wirtschaftslebens nach Anbruch der Dunkelheit im Auge haben. Aus guten Gründen.
VON RUDI RASCHKE
Wie hat sich die Nacht nur verändert! Früher wurde sie besungen als Stunde der Einsamkeit und der Nähe, im Schlager wie im Jazz-Standard. Man denke ans zartschmelzende „Night & Day“ von Cole Porter genauso wie an Howard Carpendales gehauchtes „Nachts, wenn alles schläft“. Man denke auch an den Zerstreuungschlager „Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da“ von 1938, in dem sowohl Gustav Gründgens als später auch Hildegard Knef in Deutschlands schlimmsten Zeiten dem „Schlendrian, Schlendrian unter den Laternen“ huldigten.
Dieser extreme Gegensatz von der Nacht zum Tag, von Vergnügen und Arbeit, von Freiheit gegenüber Abhängigkeit – er ist längst eingeebnet. Es gibt nicht mehr so sehr das Entweder-oder. In der gegenwärtigen Diskussion um Eulen und Lerchen, also den Nachtmenschen oder den Frühaufstehern, erleben wir die Anerkennung, dass es nun mal unterschiedliche Lebensweisen gibt. Dazu gehört, dass nicht nur die Wissenschaft herausgefunden hat, dass das Gegensatzpaar nachts-Feiern und tags-Arbeiten sich in Aufhebung befindet.
Und dass Menschen ganz unterschiedlich produktiv sein können und manche eben gerade dann am besten arbeiten, wenn andere schon wieder im Bett oder unter dem Tisch liegen. (Der Verfasser dieser Zeilen gehört dazu, auch dieser Text, den Sie gerade lesen, ist nicht um 8 Uhr morgens begonnen worden, sondern kurz vor Mitternacht.) Die Vorzüge für Kreative liegen auf der Hand: keine Telefon- oder Mailunterbrechung, Ruhe, Alleinsein, kurz: Zeit, die Gedanken auf Reise zu schicken.
Tag- und Nacht-Unterschiede schwinden
Und so erleben wir aktuell auch die Umwertung von ein paar Selbstverständlichkeiten zum Thema Nacht: In dieser Ausgabe von netzwerk südbaden sind nicht nur Künstler thematisiert, die nach Sonnenuntergang erst richtig von der Muse geküsst werden. Es sind auch Nachtarbeiter dargestellt, die alltägliche Berufe bewusst nachts ausüben. Diskutiert wird ferner die Frage, von welcher Bedeutung die nächtliche Schichtarbeit weiterhin für den Standort Südbaden ist. Und zur Frage nach der Umwertung gehört auch, dass es Bäckermeister gibt, die es nicht mehr als selbstverständlich erachten, ihren Job von ein Uhr bis neun Uhr morgens zu verrichten. Sondern das Gegenteil praktizieren. Einer, der zwecks Attraktivitätssteigerung versucht, den Beruf aus der Nacht in den Tag zu verschieben, ist in dieser Ausgabe vorgestellt.
Was klar ist: Die Nacht, wie sie viele von uns in Südbaden als junge Menschen erlebt haben, existiert so nicht mehr: Das Programm von Bars, Clubs und Discotheken, die beispielsweise in der Studentenstadt Freiburg einst von Dienstag bis Samstag stark frequentiert waren, ist aufs profane Wochenende eingedampft worden. Wo es vor gut 20 Jahren noch möglich war, unter der Woche eine Nacht durchzumachen, ist dies heute komplett unmöglich geworden. In den rückläufigen Angeboten der Nachtgastronomie manifestieren sich nicht nur die verschärften Bedingungen für heutige Studierende, sondern auch die Stresstests der Arbeitswelt für ausgeschlafene, sich optimierende Angestellte.
Nachtmanager und -bürgermeister
Aus der Verlagerung zu noch mehr Wochenenderlebnis erwachsen in den Städten neue Anforderungen an die Nachtwirtschaft. Dem Beispiel von Amsterdam und Mannheim folgend, hat die Stadt Freiburg ebenfalls die Stelle einer sogenannten Nachtmanagerin geschaffen, die Mitte November ihren Dienst antritt. Nun ist es im Rathaus Freiburg nicht allzu außergewöhnlich, dass für Bedürfnislagen von Pop bis Innenstadt jeweils eigene Beauftragte erfunden werden – aber bei der Nacht gibt es tatsächlich Regelungs-, Schlichtungs- oder Förderungsbedarf, je nach Sicht der Beteiligten.
Für das Kulturamt der Stadt Freiburg, das die Stelle der Nachtmanagerin beherbergt, fasst der stellvertretende Chef Udo Eichmeier diese Anforderungen zusammen: Das Stellenprofil umfasse eine Vielzahl an Aufgaben, die zur Förderung der Akteure der Nachtkultur im Sinne der Kulturpolitik beitragen sollen. „Das beinhaltet auch die Unterstützung bei lärmbedingten Nutzungskonflikten, die von Orten des Nachtlebens ausgehen“, sagt er. Gleichzeitig ginge es auch um die Arbeit „aller öffentlich zugänglichen Orte und Institutionen, die in ihrem Schwerpunkt dem Nachtleben dienen“. Mit anderen Worten: Die Stelleninhaberin muss die institutionell bisher stiefmütterlich behandelte Nachtkultur fördern und in Dialog mit deren Gegnern bringen.
Stadt im Dauerbetrieb
Kann die Nacht überhaupt gemanagt werden? In New York wurde 2018 sogar das Amt einer Nachtkulturbürgermeisterin eingeführt, die noch mehr tun soll, als nur zwischen Nachtmachern und Anwohnern zu vermitteln. Sie soll auch das wieder herstellen, was der Stadt einst viele Touristen, Umsatz und Steuern beschert hat: das Image einer Stadt, die nie schläft und die die Nacht als Wirtschaftsfaktor versteht.
Das Londoner Pendant der New Yorker Nachtbürgermeisterin Ariel Palitz heißt Amy Lamé, auch sie einstige Szeneaktivistin und traditionell nah an glamourösen Akteuren des Nachtlebens. Sie versucht allerdings noch ein wenig mehr das Thema der Nachtökonomie voranzutreiben als ihre Kollegin jenseits des Atlantiks: Mit dem Ziel einer 24-Stunden-Stadt, in der die Nachtwirtschaft gleichermaßen gefördert wird wie die am Tag.
Auch wenn so möglicherweise nicht die gesündesten Arbeitsplätze geschaffen werden: Der Gedanke, dass immer mehr Menschen in der Nacht nicht nur feiern, sondern auch Erledigungen, Fitness, Friseurbesuche oder Einkäufe tätigen wollen, spielt nicht nur im urbanen Raum eine Rolle.
Spätwirtschaft im Lokalen
Selbst wenn die allumfassende Nachtökonomie hierzulande etwas fern erscheint: Auch in Freiburg gibt es inzwischen ein 24-Stunden-Fitnesstudio – was offenkundig in der Gegenwart ein größerer Bedarf zu sein scheint als eine annähernd rund um die Uhr geöffnete Gastronomie. Und die politische Forderung nach einem Management für die Nacht zwischen Kultur, Bürgern und Wirtschaft ist inzwischen auch in Lörrach aufgetaucht.
Wie ein sinnvolles Spätangebot eine Stadt bereichern kann, hat die Stadt Freiburg erst kürzlich mit einem Testlauf vorgelebt: An vier Donnerstagen im September hat sie einen Abendmarkt im Colombipark veranstaltet, immer von 17 bis 22 Uhr. Mit gleich mehreren Annehmlichkeiten, die übers badische Hock-Gefühl hinausgingen. Wer spät noch auf der Suche nach einem guten Metzger, Fischhändler oder Gemüsebauer war, konnte hier lokal einkaufen, statt auf lieblose Supermärkte oder Bringdienste zurückzugreifen. Dazu ein wenig Musik, Begegnung, ein Glas Wein oder einen Kaffee – auch der traditionell dröge, vermeintlich konsumfreie Park war dadurch belebt, der örtliche Handel wieder ein wenig aufgewertet.
Es spricht wenig dagegen, diese charmante Idee eines Marktangebots für besagte Eulen im Frühjahr wieder aufzugreifen und sie auch an kleinere Orte zu bringen. Fern von New York oder London: Die Nacht – sie (be)lebt auch das Lokale und Regionale.