Es sind ungewisse Zeiten wie noch nie für den Profifußball, wenn am 18. September die neue Saison angepfiffen wird. Oliver Leki, Vorstand Finanzen, Organisation und Marketing beim SC Freiburg deutet an, warum der Sport-Club gut durch die Krise kommen kann, wie er die Entfremdung der Fans einschätzt – und warum der SC immer noch keinen Präsidenten in Aussicht hat.
INTERVIEW: RUDI RASCHKE
Worauf freuen Sie sich beim Anpfiff des ersten Spiels am meisten? Freuen Sie sich überhaupt, dass es losgeht?
Natürlich freue ich mich darauf, wenn der Ball wieder rollt. Aber ich gebe zu, dass es mich nicht so emotionalisiert wie in einer „normalen“ Spielzeit. Das war auch schon bei den „Geisterspielen“ der abgelaufenen Saison so. Aber unabhängig von allen Emotionen: Wir sind beim Sport-Club, denke ich, gut vorbereitet auf das, was da kommt. Wir müssen zunächst wieder ohne Zuschauer spielen, das hat die Politik so entschieden, und ich kann diese Vorsicht auch grundsätzlich nachvollziehen. Dennoch glaube ich, dass es ohne weiteres möglich wäre, Spiele mit zunächst 5000 Zuschauern im Schwarzwald-Stadion durchzuführen.
Jeder im Fußball bekennt gerade, dass es kein „weiter so“ geben kann, zuletzt auch DFB-Präsident Fritz Keller Mitte August. Ist diese Zeit des Wandels auf ihre Art auch spannend für Sie?
Inmitten der Corona-Pandemie ist das für mich überhaupt keine spannende, sondern eher eine sehr herausfordernde Zeit. Wir als Sport-Club kommen sportlich und wirtschaftlich trotz der schwierigen Situation bisher gut durch, aber es ist weit weg von dem, wie wir uns Fußball vorstellen. Um auf Dinge hinzuweisen, die offensichtlich verbesserungswürdig sind, hätte ich keine Krise gebraucht. Auch, weil ganz viele Punkte, die jetzt kritisiert werden am System Fußball, bei uns seit Jahren auf der Agenda stehen und von uns anders gelebt werden.
Wie wandelt sich das System Bundesliga denn gerade?
Ich finde es wichtig, dass wir uns mit den Themen wirtschaftliche Stabilität und Wettbewerbsgerechtigkeit beschäftigen. Auch die Frage, ob sich der Fußball von der Gesellschaft entfremdet, sollte man sich stellen.
Wie lautet Ihre Antwort?
Bezogen auf die mehr als 40 Millionen Fußballfans in Deutschland konnte ich keine sonderlich große Entfremdung vom Fußball erkennen. Auch wenn es schon vor Corona nicht wenige kritische Stimmen zur Entwicklung des Systems Fußball gab. Teilweise astronomisch gestiegene Ablösesummen und Gehälter und die Zurschaustellung des eigenen Wohlstandes, zum Beispiel in Form von goldenen Steaks, lassen viele Fans kopfschüttelnd zurück. Wenn das alles aber darin mündet, dass einige Punkte jetzt übergeordnet in die richtige Richtung entwickelt werden, dann kann man aus der Krise etwas Positives mitnehmen.
“Wir können ganz viele Punkte, die von den Fans thematisiert werden, nachvollziehbar finden.”
Oliver Leki
Was sagen Sie den Fans, die Ihnen wie vor kurzem Unterschriftenlisten für eine Erneuerung des Fußballs überbringen?
Unsere Antwort war, dass wir ganz viele Punkte, die von den Fans thematisiert werden, nachvollziehbar und unterstützenswert finden. Die Kritik adressiert das System Fußball und wir können das gut einordnen.
Der einstige Fußball-Funktionär Andreas Rettig, so etwas wie der gewandelte Saulus-Paulus der Branche, nennt den SC Freiburg DAS Vorbild für die Branche. Wie sehr kann der Sport-Club den Fußball retten? Wie mächtig oder machtlos ist er?
(lacht) Ich würde nie sagen, der Sport-Club müsste jetzt das Vorbild für den deutschen Fußball sein. Aber natürlich versuchen wir, unsere Überzeugungen, wo es möglich ist, mit Nachdruck einzubringen. Es gibt nicht wenige Clubs, die zum Beispiel bei den Themen wirtschaftliche Stabilität oder Wettbewerbsgerechtigkeit ähnlich denken wie wir. Hier hat sich bei vielen Clubs die Einsicht durchgesetzt, dass es kein „weiter so“ gibt.
Mancher Verein nimmt Landeshilfen in Anspruch, wenn er richtig schlecht gewirtschaftet hat, mancher Profi will nicht auf Gehalt verzichten. Sind die Dinge überhaupt auf dem richtigen Weg?
Das denke ich schon. Die nächsten Wochen und Monate werden aber zeigen, wie ernsthaft die formulierten Absichten sind.
Was wird die DFL ändern? Es gibt Vereine, die bereits kommende TV-Einnahmen im Vorgriff beleihen mussten, das dürfte leicht zu ändern sein. Was ist mit Gehaltsobergrenzen?
Die Themen sind sehr unterschiedlich gelagert: Das Abtreten von zukünftigen Medieneinnahmen könnte man tatsächlich über das nationale Lizenzierungsverfahren untersagen. Andere Punkte, wie zum Beispiel das Einführen von Gehaltsobergrenzen, sind deutlich komplizierter, weil sie auch EUrechtlich und im Wettbewerb mit anderen Ligen zu bewerten sind. Auch wenn die Umsetzung nicht trivial ist, müssen wir sie angehen. Denn zu hohe Gehaltskosten im Spielerkader sind für viele Clubs ein, wenn nicht das zentrale Problem in der aktuellen Krise.
Die Beraterkosten auch?
Das ergibt sich daraus. Wenn wir darüber nachdenken, dass alle Akteure ein wenig maßvoller agieren sollten, dann betrifft das auch diese Honorare.
Wenn Sie sich umschauen in der Liga: Was ist besser – der finanzsolide Neuaspirant, zur Not auch mit Investor? Oder der schwankende Traditionstanker? Also auf Dauer eine Erste Liga mit Heidenheim und Sandhausen oder doch wieder mit Hannover 96 und dem HSV?
Ich fühle mich in der jetzigen Zusammensetzung von Bundesliga und 2. Bundesliga überhaupt nicht unwohl. Der jetzige Zustand bietet verschiedenste Facetten an Vereinen. Es macht auch die Spannung und den Reiz des Fußballs aus, dass man sich reiben kann. Darüber hinaus muss eine Wettbewerbsbalance gewahrt werden, mit der es nicht langweilig wird. Das ist aus meiner Sicht gerade die größere Herausforderung als die Zusammensetzung der Liga.
Die nationalen TV-Lizenzen sind vergeben für die nächsten Jahre, aber noch nicht die Aufteilung. Ließe sich hier ein Schlüssel für mehr sportliche Balance finden, wenn alle aus dem nationalen Topf das gleiche Geld bekommen?
Mir widerstrebt ehrlicherweise der Gedanke an eine nicht leistungsbezogene Verteilung. Da muss uns etwas anderes einfallen. Die extreme Ungleichheit entsteht im Übrigen vor allem aus den unfassbar größer gewordenen Töpfen im europäischen Wettbewerb, vor allem in der Champions League. Das ist doch der Punkt.
“Zu hohe Gehaltskosten im Spielerkader sind für viele Clubs ein, wenn nicht das zentrale Problem in der aktuellen Krise.”
Oliver Leki
Ihr Mainzer Kollege Jan Lehmann fordert für die deutschen TV-Rechte die komplett gleichen Erlöse für alle – vom Meister bis zum Platz 18.
Am Ende ist es professioneller Sport, bei dem gute und sehr gute Leistungen mehr honoriert werden sollten als mittelmäßige oder schlechte. Die Frage ist doch vielmehr, wie wir Leistung definieren. Was ist gerecht? Ist es nicht höher zu bewerten, wenn ein Club Siebter wird und dabei nur einen halb so hohen Etat zur Verfügung hatte wie der Viertplatzierte?
Welche Möglichkeiten gibt es denn für den Fußballsport überhaupt, sich einmal unabhängiger von TV-Milliarden zu machen?
Die Medieneinnahmen sind deshalb so hoch, weil der Fußball diese enorme Popularität hat. Die Abhängigkeit von den Medieneinnahmen ließe sich etwa dadurch verringern, dass man beispielsweise die Ticketpreise verdoppelt und damit mehr Einnahmen erzielt. Das wäre aber doch ein ziemlich absurder Plan, finden Sie nicht? Auch wenn Abhängigkeit als Begriff natürlich negativ belegt ist, sollten wir diese Situation nicht beklagen.
Mit welchem Etat wird der SC in diesem Jahr planen können?
Zeiten für Umsatzrekorde (der SC Freiburg überschritt vor zwei Jahren erstmals die 100 Millionen-Euro-Marke, d. Red.) haben wir aktuell nicht. Die Corona-Effekte haben uns auch schon im abgelaufenen Geschäftsjahr wirtschaftlich hart getroffen – und das wird aller Voraussicht auch in der kommenden Spielzeit so sein. Wir sind wirtschaftlich aber stabil, sodass sich unsere Mitglieder und Fans keine Sorgen machen müssen.
Waren in die aktuellen Kalkulationen schon die gesteigerten Einnahmen aus dem neuen Stadion eingeflossen?
Teilweise ja. Wir haben, unabhängig von Corona, aber sehr konservativ geplant, sodass uns das nicht sehr belastet.
Normalerweise würde jetzt bei Ihnen täglich die Kasse klingeln beim Dauerkartenvorverkauf – wie sehr fehlen diese Einnahmen vor der Spielzeit?
Es gibt auch Vereine, die für die anstehende Saison jetzt Tickets verkaufen, ohne zu wissen, wann sie wieder vor Publikum spielen. Wir haben bewusst keinen Verkauf eingerichtet. Diese Einnahmen fehlen uns natürlich. Ein halbes Jahr ohne Zuschauereinnahmen wäre schon ganz erheblich.
Ist es am Ende ein kleiner Vorteil, dass der SC so wenig von Zuschauereinnahmen abhängig ist?
Das könnte man so sehen. Trotzdem kann der SC Freiburg vor dieser Saison normale Erlöse bei Transfers einfahren, es könnten am Ende sogar über 35 Millionen Euro sein. Wir haben versucht, es wie immer zu machen – dass wir sinnvolle Verkäufe tätigen und einen guten Teil des Geldes wieder reinvestieren. In der ganzen Branche werden viel weniger Transfers getätigt. Die Transfers in unserer Größenordnung, die stattfinden, sind finanziell aber in etwa auf dem bisherigen Niveau. Insgesamt werden wir eine gute Transferbilanz haben.
Was lässt sich aktuell zur Präsidentennachfolge von Fritz Keller sagen? Im ersten Quartal sollten Kandidaten sondiert werden, jetzt schreiben wir das dritte und es hat sich auch in der Corona- Zeit nicht viel Neues ergeben, so scheint es. Wenn er am Ende erst nächstes Jahr gekürt werden könnte: Braucht der Verein dann überhaupt noch einen Präsidenten, wenn es über ein Jahr keinen gab?
Das Vorschlagsrecht für das Amt des Präsidenten liegt beim Ehrenrat.
Und der sucht noch nach einem Vorschlag? Der Kreis wäre ja überschaubar: Stadtgesellschaft, Menschen mit SC-Stallgeruch, bestenfalls eine Frau. Warum findet sich da niemand?
Der Prozess läuft noch und ich wünsche mir eine gute Entscheidung.
Dieses Interview erschien in der September 2020-Ausgabe unseres Printmagazins.