Allein die Nennung des Begriffs „Passivhaus“ lässt vielerorts die Herzen höher schlagen – er ist das Gütesiegel im privaten Häuslebau und stellt immer noch den Gegenstand für amtliche Vorzeigeprojekte dar. Beispielsweise des Umbaus eines Hochhauses in Freiburg-Weingarten zum ersten Passiv-Tower durch die Stadtbau im Jahr 2011.
Von Rudi Raschke
Vielerorts mehren sich jetzt die Anzeichen dafür, dass Passivhäuser, also jene Häuser, die praktisch keine Energie von außen mehr für Wärmeerzeugung benötigen, gar nicht mehr das Nonplusultra in Sachen Verbrauch sind. Zumal sie in der Entstehung eher mehr energetischen Aufwand verbrauchen dürften als Gebäude, die nur als „Niedrigenergiehaus“ einzustufen sind.
In der baden-württembergischen Architektenkammer findet aktuell eine Umbewertung statt, ob allein der Verbrauchswert das Gütesiegel rechtfertigt. Klaus Wehrle, umtriebiger Architekt aus Bleibach, Kolumnist dieses Magazins und in zahlreichen Gremien aktiv, sagt, dass nach und nach dazu übergegangen werde, nicht nur die Verbrauchswerte zu betrachten, sondern auch die „graue Energie“ beim Bau.
Bei einem Gesamtberechnungsverfahren, wie ökologisch ein Passivhaus nun tatsächlich ist, würde ein pragmatischerer Ansatz gewählt, sagt Wehrle. Er beginnt beim Bauen, der Nutzung, bis hin zum Rückbau nach einer Nutzung von knapp 75 Jahren und wie ökologisch die Bilanz insgesamt ausfällt, auch für die Herstellung und Lieferung von sehr viel Dämmmaterial. Von der Entsorgung des späteren Sondermülls ganz zu schweigen. Und der Frage, ob es nicht für Materialien wie Holz eine weit bessere Ökobilanz gebe.
Es ist nicht nur Wehrles These, dass mit noch mehr Dämmung irgendwann der Optimalwert überschritten sei. Die Passivhaus-typische Deckenlüftung stoße ohnehin an Grenzen, wenn die Bewohner einfach auch mal hin und wieder ein Fenster für Frischluft öffnen wollen. Jeder, der Passivhaus-Nutzer in seinem Umfeld hat, wird dies bestätigen. Wehrle führt aber auch aus, dass es so etwas wie eine „Dämmstoff-Lobby“ gewesen sei, die für eine gewisse Verklärung dieser Bauweise in Deutschland gesorgt habe. „Die Studien zum Thema in Deutschland waren häufig Drittmittel-finanziert, ihre Auftraggeber arbeiten eng mit dieser Lobby zusammen“, so Wehrle.
Dass dies keine Verschwörungstheorie ist, belege eine unabhängigere Studie aus Vorarlberg, die an einer Hochschule entstand, wenn auch mit Unterstützung eines progressiven Bauträgers. Mit zwei schlicht identischen Bauten zweier – für die Region typisch – sehr ansehnlicher Gebäude, konnte belegt werden, dass ein Niedrighaus neben dem baugleichen Passivhaus die besseren Werte erzielt. Wehrle spricht davon, dass im Passivhaus ein bis zu 70 Prozent höherer Verbrauch von Wärmeenergie gegenüber der versprochenen Kalkulation gemessen wurde. Bezüglich der Verbrauchergewohnheiten, glaubt Wehrle, sei ohnehin ein großer Nachholbedarf an Aufklärungsarbeit sinnvoll. Zum Beispiel bei übertriebenem Fensterauflassen, das in keiner Modellrechnung eingeplant ist.
Die Vorarlberger Studie kommt zum Fazit, dass nicht nur die objektiven Heizwerte, sondern auch die subjektiven „Erwartungen hinsichtlich eines höheren Wohnkomforts im Passivhaus im Vergleich zum Niedrigenergiehaus“ nicht bestätigt werden konnten. Die versprochenen Referenzwerte könnten im Passivhaus indes nur mit „konsequenter Einhaltung des erwarteten Nutzerverhaltens“ erreicht werden. Mit anderen Worten: Hier wird weit mehr versprochen als zu halten ist.
Gut, dass sie verglichen haben: Auch in Deutschland sorgt seit vergangenem Herbst ein Alltagstest zweiter identischer Gebäude für Furore. „Der Spiegel“ berichtete von den zwei Wohnwürfeln im Wiesbadener Neubauviertel Wiedenborn, die die örtliche Wohnungsbaugesellschaft GWW als Niedrigenergie- und als Passivhaus direkt nebeneinander gestellt hat, um zwei Jahre lang Daten zu erheben.
Der Geschäftsführer der Gesellschaft nennt die Ergebnisse „ziemlich ernüchternd“, wenn es um die Annehmlichkeiten des Passivhauses geht. Anders als in Vorarlberg lag zwar der Heizenergieverbrauch deutlich unter dem des Niedrigenergiehaues nebenan. Die vielen „Abers“ sind hier jedoch sehr erdrückend:
So erwies sich der allgemeine Stromverbrauch der Häuser (nicht der der Wohnungen) mehr als viermal so hoch wie beim Passivhaus. Dies ist vor allem dem aufwändigen System des Wärmetauschers geschuldet. Und auch in Wiesbaden wichen die Annahmen der Hausplaner vom tatsächlichen Wohnverhalten der Nutzer stark ab, eigentlich wie in Vorarlberg: In den Rechenmodellen war nicht vorgesehen, dass ein Teil der Bewohner übertrieben starken Frischluftbedarf eher per offenem Fenster regelt. Während ein anderer Teil die stromfressende Lüftung gar nicht hoch genug aufdrehen kann, wie der „Spiegel“ berichtet.
Am Ende stehen massive Bedenken überm bisher heiligen Passivhäusle: Die von Klaus Wehrle angezweifelte Auftürmung von immer mehr Dämmmaterial für immer mehr Wirkung wird durch die Wiesbadener Studie belegt, der von ihm ins Feld geführte Paradigmenwechsel mit ökologischen „grauen“ Kosten für Herstellung, Anlieferung, aber auch spätere Sondermüll-Entsorgung der Haus-Watte ist noch nicht einbezogen.
Überraschend ist vielmehr ein weiterer Verschwendungsaspekt beim eigentlichen Spar-Bau: Durch die Einbauten von viel Dämmung und großer Lüftungsanlagen hatten die Passivhäuser insgesamt fast 67 Quadratmeter weniger nutzbare Fläche als das „normal“ energetische Haus, das nach der Energieeinsparverordnung von 2009 gebaut war. Das erschütterndste Detail war vermutlich die wirtschaftliche Bilanz: Denn neben den keineswegs passiven Energiekosten waren es vor allem die Baukosten, die aufs Konto schlugen: 220 Euro mehr kostete der Quadratmeter. t