Wenn das Herz plötzlich stillsteht, entscheidet schnelle Hilfe über Leben und Tod. Die Ersthelfenden des Vereins „Region der Lebensretter“ treffen noch vor Rettungsdienst und Notarzt ein. Was als Pilotprojekt in Freiburg begann, breitet sich bundesweit aus.
Text: Christine Weis
Ein Ehepaar ist gerade in der Ferienwohnung in einem abgelegenen Urlaubsort angekommen, als der Mann bewusstlos zusammenbricht. Seine Frau wählt den Notruf. Zur selben Zeit trainiert ganz in der Nähe die Rettungshundestaffel des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Hochschwarzwald. Zwei der Teammitglieder bekommen einen Alarm auf ihr Smartphone. Die App First AED des Vereins „Region der Lebensretter“ (RdL) meldet einen Notfall und zeigt Entfernung sowie Ankunftszeit zum Einsatzort an. Die beiden schieben den Regler auf „Annehmen“ und fahren los, die App navigiert sie. Am Ziel angekommen, beginnen sie mit der Reanimation: Herzdruckmassage, Beatmung, Elektrostöße mit dem Defibrillator. Ein dritter Helfer kommt hinzu, der sich um die Frau kümmert und dann den Rettungsdienst einweist, der nach weiteren zehn Minuten eintrifft. Trotz aller Bemühungen stirbt der Mann. So viel zu einem aktuellen Einsatz von Daniela Kirschner, eine der Helferinnen vor Ort. Sie sagt: „Wir haben alles getan, was möglich war. Aber man muss akzeptieren, wenn es nicht reicht.“ Der Tod, fügt sie hinzu, gehört zum Leben. Auch für die Ehefrau sei es wichtig gewesen, dass rasch jemand zur Stelle war, der ihr Beistand leisten konnte. „Es gab allerdings auch schon viele Situationen, in denen wir dazu beigetragen haben, Menschenleben zu retten. Für uns ist es die schönste Nachricht, wenn der Rettungsdienst meldet, sie haben mit stabilem Kreislauf übergeben“, erzählt Kirschner.
„Für uns ist es die schönste Nachricht, wenn der Rettungsdienst meldet, sie haben mit stabilem Kreislauf übergeben.“ Ersthelferin Daniela Kirschner




Eine App fürs Leben
Daniela Kirschner ist Erste-Hilfe- und- Sanitätsausbilderin beim DRK-Kreisverband Müllheim und seit sieben Jahren bei der RdL. Damit ist die 57-Jährige derzeit eine von über 24.000 registrierten ehrenamtlichen Lebensretterinnen und -rettern des Vereins. Wie sie sind alle fachlich qualifiziert und müssen mindestens eine Ausbildung zum Sanitätshelfer vorweisen.
Herz-Kreislauf-Stillstände sind laut Bundesgesundheitsministerium die dritthäufigste Todesursache außerhalb von Krankenhäusern. Jährlich wird der Rettungsdienst zu über 50.000 Fällen gerufen, nur zehn Prozent der Betroffenen überleben. Es könnten weit mehr sein, wenn die Hilfe schneller käme. Zwischen Notruf und dem Eintreffen des Rettungsdienstes vergehen durchschnittlich neun Minuten – zu viel, wenn jede Sekunde zählt. Genau das will der Verein die „Region der Lebensretter“ ändern. Initiator ist Michael Müller, Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie, Intensiv- und Notfallmedizin am St. Josefskrankenhaus Freiburg. 2017 gründete er mit weiteren Akteuren daher die gemeinnützige Organisation.
Als Pilotprojekt in Freiburg gestartet, gibt es mittlerweile bundesweit 69 angeschlossene Kreise und kreisfreie Städte. Ihr Ziel ist möglichst viele Leben zu retten. Denn bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand sollten zwischen dem Kollaps bis zum Beginn der Wiederbelegung höchstens fünf Minuten verstreichen. Nur dann besteht die Chance, diesen ohne irreversible Schäden zu überleben. Die Ersthelfenden der RdL treffen meist schon nach drei bis vier Minuten ein. Warum so schnell? Judith Joos, Geschäftsführerin der RdL, erklärt das System: „Die Leitstelle informiert zeitgleich mit dem Rettungswagen und Notarzt auch unsere smartphonebasierte App, die alarmiert die Lebensretter in der Nähe des Vorfalls, vergibt die Aufgaben mit einem komplexen Alarmierungsalgorithmus und navigiert die schnellste Route mit Auto, zu Fuß oder Rad, je nachdem wie sie unterwegs sind.“ Eine der Aufgaben ist es, einen AED (Automatisierten Externen Defibrillator) mitzubringen. Die App lotst einen der Helfenden zum nächsten AED. Dieses Gerät erkennt Herzrhythmusstörungen wie Kammerflimmern und kann durch einen Elektroschock das Herz wieder in den richtigen Takt bringen.
Es gibt zu wenig AEDs
Bei jedem vierten Menschen mit Herz-Kreislaufstillstand liegt eine Herzrhythmusstörung vor. „AEDs retten Leben, daher setzen wir uns für eine flächendeckende öffentliche Versorgung ein, es gibt leider immer noch viel zu wenige“, sagt Judith Joos. Aktuell hat die RdL über 7500 registriert, doch nur knapp 2800 sind rund um die Uhr verfügbar. Und das ist eines der Probleme, denn der Herzstillstand richte sich nach keinen Öffnungs- oder Arbeitszeiten.
Judith Joos appelliert deshalb an Unternehmen und andere Einrichtungen, AEDs anzuschaffen und an öffentlich zugänglichen Orten zu platzieren, auch wenn in Deutschland keine gesetzliche Verpflichtung dazu besteht. „Bei uns kann man eine Patenschaft auf Spendenbasis für einen AED übernehmen und damit viel Gutes tun“, sagt die Geschäftsführerin. 5000 Euro kostet eine solche für fünf Jahre, dabei wird der AE-Standort von der Region der Lebensretter gewartet und betrieben.
„AEDs retten Leben, daher setzen wir uns für eine flächendeckende öffentliche Versorgung ein, es gibt leider immer noch viel zu wenige.“ Judith Joos, Geschäftsführerin Region der Lebensretter
Daniela Kirschner hat immer einen AED griffbereit im Auto. Aber sie kennt genügend Stellen, an denen er nicht schnell zur Hand ist. Als Beispiel nennt sie eine Schule, wo er in einem abgeschlossenen Trainingsraum hängt, den selbst das Lehrpersonal nicht kenne. Diese Unkenntnis sei leider Standard – was den Standort, aber auch die Handhabung des AEDs betrifft. Kirschner arbeitet daran, die Situation zu ändern. Sie gibt Erste-Hilfe-Kurse für junge wie alte Menschen, und ist für die RdL bei Infoveranstaltungen aktiv, wie demnächst am 15. März beim Reanimationstag in Grißheim bei Neuenburg.

Nichtstun geht nicht
Daniela Kirschner ist seit über zwei Jahrzehnten engagiert – ein Schlüsselerlebnis war der Auslöser. „Damals arbeitete ich noch als Erzieherin, hatte keine Sanitätsausbildung und erlebte im Supermarkt einen Notfall. Ein Mann fiel in der Gemüseabteilung um.“ Während sie die Atemwege des Mannes von Erbrochenem freimachte und mit der Wiederbelebung begann, hörte sie hinter sich Kommentare, aber niemand unterstützte sie. Diese Erfahrung prägte sie nachhaltig. „Nichtstun ist das Schlimmste“, sagt sie nachdrücklich. Ihr Ziel sei es, die Angst und Hemmungen vor einer Reanimation zu nehmen. „Man kann nichts falsch machen, das Wichtigste ist mit aller Kraft die Herzdruckmassage durchzuführen“, sagt sie.
Daniela hat schon oft geholfen, ein Leben zu retten. Häufig weiß sie jedoch nicht, wie es den Betroffenen nach dem Einsatz ergeht. Der Datenschutz verhindert, dass die Ersthelfenden nähere Informationen erhalten. Manchmal bedanken sich Angehörige oder die Betroffenen selbst – das bleibe leider die Ausnahme. „Aber im vergangenen Jahr hat uns ein Patient zum Dank zu einer ‚Still Alive Party‘ eingeladen, das war eine tolle Wertschätzung“, sagt die Ersthelferin.