Der SC Freiburg hat die beste Bundesligasaison seiner Geschichte hinter sich. Gleichwohl hat der Verein den Klassenerhalt als erstes Ziel für die neue Spielzeit ausgegeben. Er bleibt also gewohnt bescheiden.
VON SUSANNE MAERZ
Es geht wieder los: In diesen Tagen startet der SC Freiburg in die neue Runde des DFB-Pokals und die Bundesligasaison, im September steht der erste Spieltag in der Europa-League an. „Es ist großartig, dass wir wieder in drei Wettbewerben dabei sind. Aber wir müssen aufpassen, dass man es nicht als selbstverständlich ansieht.“ Dies sagte Oliver Leki, der Finanzchef des SC Freiburg, im Juli und fügte an: „Natürlich werde ich lieber Fünfter als Zwölfter. Aber wir sind gut beraten, keine Überziele auszuposaunen.“
Seine Worte stehen exemplarisch für die Gefühlslage vieler Freiburger. Schließlich ist es gerade einmal fünf Jahre her, da standen die Worte „Gemeinsam Geschafft“ auf dem Banner, mit dem die Spieler des Bundesligisten nach dem letzten Heimspiel durchs Stadion zogen. Die Klasse gehalten zu haben, war im Mai 2018 keine Selbstverständlichkeit. Und die Freude über das Erreichte auf allen Seiten groß.
Diesen Mai hatte der SC Freiburg 59 Punkte auf dem Konto, so viele wie nie, Platz 5 in der Bundesliga belegt, das DFB-Pokal-Halbfinale und das Europa-League-Achtelfinale erreicht und sich erneut für den internationalen Wettbewerb qualifiziert. Bereits am 28. Spieltag, mit dem Sieg in Bremen, knackte der Verein die magische 50-Punkte-Grenze. Und er verdrängte den Karlsruher SC in der Bundesligabestenliste, der Ewigen Tabelle, von Platz 19. All dies war vor fünf Jahren unvorstellbar.
Mehrere Highlights und ein Tiefpunkt
Anders als in der vorherigen Saison, als das DFB-Pokalfinale in Berlin alles bis dahin Erlebte toppte, gab es in der vergangenen Saison nicht den einen emotionalen Höhepunkt, dafür aber mehrere Highlights. Allen voran die unglaubliche Gruppenphase der Europa-League mit vier Siegen und zwei Unentschieden. Und dann das Achtelfinale gegen Juventus Turin, bei dem sich der Sport-Club absolut würdig aus dem Wettbewerb verabschiedete. In Erinnerung bleibt natürlich das grandiose Viertelfinale gegen den FC Bayern München im DFB-Pokal, das mit dem ersten Sieg in einem Pflichtspiel gegen die Bayern in München endete. Und erst recht das letzte Heim- und zugleich Abschiedsspiel von Nils Petersen, der den SC mit einem Jokertor zum Sieg schoss und von den Fans fulminant verabschiedet wurde.
Aber es gab auch einen absolut unschönen Moment in der vergangenen Saison: die Münz- und Becherwürfe im Pokalhalbfinalspiel gegen RB Leipzig und die zum Glück vergeblichen Versuche einiger Zuschauer, aufs Spielfeld zu gelangen. Da stellt sich die Frage, ob der Zaun vor der Südtribüne zu niedrig gebaut wurde, den die Fans mühelos überwinden konnten. „Wenn es zur Standardsituation wird, müssen wir ihn höher machen“, sagte Stadionchef Marcel Boyé wenige Tage nach dem Spiel. Dass er niedriger ist als im alten Stadion, sei in Absprache mit den Fans so geplant worden, würde in vielen neuen Stadien so gebaut und solle daher auch erstmal so bleiben.
Ansturm auf Tickets und Mitgliedschaft
Veränderungen wünschen sich dagegen viele Fans, was die Ticketvergabe angeht. Denn vergangene Saison gab es lediglich für zwei Pflichtspiele Karten im freien Verkauf. Für die übrigen Bundesligaspiele konnten nur Vereinsmitglieder Einzeltickets erwerben. Und natürlich nur für die Plätze, die nicht schon von Dauerkarteninhabern belegt waren. Gleiches galt für Pokal- und Europa-League-Spiele, bei denen Dauerkarteninhaber ein Vorkaufsrecht für ihre Plätze haben. Erst nachdem die zugreifen konnten, sind die Vereinsmitglieder an der Reihe. Karten für Auswärtsspiele gehen nur an Mitglieder.
Wer weder ein Dauerkarte noch Freunde hat, die ihre verleihen, und auch kein Vereinsmitglied ist, kommt nur schwer an Tickets. Doch auch der Trick mit der SC-Mitgliedschaft funktioniert nur noch bedingt. Denn inzwischen hat der Sport-Club fast 60.000 Mitglieder – sehr viel mehr, als es Plätze im Stadion gibt. Zum Vergleich: Im August 2019 waren es noch 20.000 Mitglieder.
Daniel Däuper, Abteilungsleiter Vertrieb und Services beim Sport-Club, weiß um den Unmut vieler Freiburger, die leer ausgehen. Er verweist auf den „starken Ticketzweitmarkt“, über den Dauerkarteninhaber, die nicht zum Spiel kommen, ihre Tickets anbieten können. Das seien rund 2500 Karten pro Spiel. Aber auch da muss man schnell sein und Glück haben, dass man sich genau dann im virtuellen Ticketshop aufhält, wenn jemand seine Karte freigibt. Däuper kündigte Veränderungen „an der ein oder anderen Stelle an, wie die Tickets vielleicht noch gerechter verteilt werden können“.
Die Lage war schon einmal extrem angespannt: Um Mitte der 1990er-Jahre, nach dem ersten Aufstieg des SC in die Bundesliga, an Tickets für ein Spiel im Dreisamstadion zu kommen, übernachteten viele sogar vor der Geschäftsstelle in der Schwarzwaldstraße. Mit Glück reichte es, sich am Tag des Vorverkaufsstarts um 5 Uhr morgens in die Ticketschlange zu stellen beziehungsweise zu legen, um eines oder mehrere der begehrten Tickets zu ergattern.
Wie beim FC Bayern München
Heute hingegen sind die Spiele im Dreisamstadion zum Geheimtipp avanciert, allen voran die der zweiten Mannschaft. Die hatte vergangene Saison im Durchschnitt nur knapp 2700 Zuschauer. Alle, die dort waren, freuten sich über die entspannte Atmosphäre und die Möglichkeit, auch noch kurz vor Anpfiff Karten kaufen zu können. Aber auch darüber, die potenziellen Erstligaprofis von morgen sehen zu können. Zum Beispiel Noah Atubolu, der nun Mark Flekken als Nummer eins im Tor abgelöst hat.
Und sie konnten miterleben, wie der SC Freiburg II vergangene Saison Geschichte geschrieben hat: Mit 73 Punkten wurde die U23 Vizemeister in der 3. Liga und beendete die Saison damit auf einem Aufstiegsplatz. Von den Bundesligisten hat neben Freiburg nur Dortmund eine zweite Mannschaft in der 3. Liga. Und die wurde 13. Der SC Freiburg II hätte also in die 2. Bundeliga aufsteigen und am DFB-Pokal teilenehmen können, würde es die DFB-Spielordnung nicht untersagen. Eine solche Leistung kann nur der FC Bayern München toppen, dessen zweite Mannschaft in der Saison 2019/20 Drittligameister wurde. Allerdings stiegen die Bayern im Jahr darauf ab und spielen seitdem in der Regionalliga.
Bleibt zu hoffen, dass den SC Freiburg kein ähnliches Schicksal ereilt. Denn angesichts der vielen Abgänge ist die Mannschaft der U23 in der neuen Saison eine ganz andere. Allein 16 Neuzugänge meldete der Verein bis Mitte Juli, mehr als die Hälfte kommt aus der eigenen Jugend. Das Modell der Freiburger Fußballschule bewährt sich. Finanziell lohnt sich der Verbleib in der 3. Liga aber nicht: Zweite Mannschaften von Bundesligisten erhalten, anders als die anderen Drittligisten, keinerlei Fernsehgelder. Und auch sonst halten sich die Einnahmen in Grenzen.
Das ist auch bei den Frauenmannschaften des Sport-Clubs nach wie vor so. Im Schnitt kamen vergangene Saison zu einem Bundesligaspiel der Frauen knapp 2400 Zuschauer. Nicht nur die Ticket- und Catering-, auch die übrigen Einnahmen sind vergleichsweise gering. Sportlich spielen die SC-Frauen im Mittelfeld der Bundesliga: Wie in der Vorsaison erreichten sie Platz sechs. Im DFB-Pokal-Halbfinale haben sie im Gegensatz zu den Männern RB Leipzig besiegt. Im Finale unterlagen sie dann den Favoritinnen aus Wolfsburg, die den Pokalsieg quasi abonniert haben. Die zweite Frauenmannschaft konnte sich immerhin ein Jahr in der 2. Frauen-Bundesliga halten. Damit hatten sowohl die SC-Herren als auch die Damen zwei Teams in den höchstmöglichen Ligen. Das hat noch nicht mal der FC Bayern München geschafft.
Klassenerhalt als Ziel ausgegeben
Dennoch bleibt man in Freiburg demütig. Schon allein deshalb, weil nicht nur die Vorstände Oliver Leki und Jochen Saier und das Trainerteam um Christian Streich, sondern auch einige der altgedienten Spieler wie Christian Günter, Vincenzo Grifo und Nicolas Höfler viele Jahre dabei sind und somit Zweitligazeiten erlebt haben. Da wundert es nicht, dass Stürmer Lucas Höler, der seit 2018 beim Verein ist, und zwar keinen Abstieg, aber das Bangen um den Klassenerhalt kennt, im Juli auf die Frage nach dem Ziel für die neue Saison sagte: „Wir wollen weiter europäisch spielen, aber wir wissen, wo wir herkommen und haben wie immer das 40-Punkte-Ziel.“ Auch Christian Streich gab dieselbe Marschroute vor wie früher: „Wir wollen immer das Jahr darauf wieder in der Bundesliga spielen. Das hat absolute Priorität, und damit sind wir immer gut gefahren.“ Alles andere hänge von viele Faktoren ab wie Verletzungen, der Form und nicht zuletzt den Chancen.
Und was meinen die Fans? „Alle, die schon lange zum SC gehen, können gar nicht anders als erstmal den Nicht-Abstieg als Saisonziel auszurufen. Träumen darf man ja immer, aber es muss klar sein: Wir stehen zum Sport-Club, egal wie es sportlich läuft“, sagte Helen Breit, Vorstand Fanpolitik der Supporters Crew, einem Interessensverband für aktive Fußballfans des Sport-Clubs. Sie würden sich über den Mitgliederzuwachs freuen, hofften aber zugleich, dass diese nicht erwarten würden, „dass jedes Jahr so unglaubliche sportliche Erfolge präsentiert werden, wie das in der jüngeren Vergangenheit der Fall war. Auch wenn wir uns natürlich über jeden dieser Erfolge unfassbar freuen“.
Ändert sich angesichts der Erfolge nun die Transferpolitik des Vereins? Gefragt danach, meinte Christian Streich, dass man sich nun auch andere Spieler anschaue als noch vor fünf bis sechs Jahren. Aber die würden mehr kosten und hätten höhere Gehaltsvorstellungen. Natürlich könne es auch mal einen teureren Transfer als früher geben. „Aber nur, wenn wir überzeugt sind, dass es passt“, sagte er. „Wir haben keine Forderungen zu stellen, die das Gesamtgefüge des Vereins ins Wanken bringen, wenn wir mal ein bis zwei Saisons nicht in der Europa League spielen.“
Einer von fünf mit Vereinsstatus
Dass der Sport-Club an seinem – auch finanziellen – Gefüge festhält, ist heutzutage nicht selbstverständlich. Der SC Freiburg ist nur noch einer von fünf Bundesligisten, dessen Profiabteilung als Verein organisiert ist. Die 13 anderen Clubs haben ihre Profiabteilung in eine Kapitalgesellschaft ausgegliedert – neun von ihnen haben externe Investoren hineingeholt. Die Mehrheit der Anteile (sogenannte 50+1-Regel) muss aber in jedem Fall beim Verein bleiben. Wird der Sport-Club auch in Zukunft am Vereinsmodell ohne Investoren festhalten? „Der SC Freiburg ist bis jetzt gut so gefahren“, sagte Streich nach dem Trainingsauftakt. Der Verein sei extrem erfolgreich und spiele Geld ein. Gleichwohl gibt der Freiburger Cheftrainer zu bedenken: „Wer weiß, ob man in fünf Jahren in der Bundesliga noch ohne Investor bestehen kann.“