Die Weihnachtszeit ist Hochsaison für Fundraiser. Wie spendabel sind die Menschen in diesem krisenreichen Jahr? Nachgefragt bei den Freiburger Hilfsorganisationen Caritas International und Amica.
VON KATHRIN ERMERT
In normalen Jahren werben private Hilfsorganisationen den größten Teil ihrer Spenden im November und Dezember ein. Bei Caritas International und Amica sind das 40 beziehungsweise 30 Prozent des gesamten Spendenaufkommens. Doch 2022 ist nicht normal. Der Ukrainekrieg hat für eine Sonderkonjunktur der Spendenbereitschaft gesorgt. Die übliche Sommerflaute ist ausgeblieben, und die Einnahmen der beiden Freiburger NGOs toppen längst das Vorjahr. Was bedeutet das für die Weihnachtsaktionen, zumal die hohe Inflation auch noch die Kaufkraft verringert?
„Wir sehen das relativ entspannt“, sagt Cornelia Grothe. Die Amica-Geschäftsführerin geht davon aus, dass es keinen großen Unterschied zu anderen Jahren gibt. Viele Menschen hätten ja kaum Einbußen – „es gibt genug Geld, Deutschland ist immer noch ein reiches Land“. Zudem sei die Spendenbereitschaft oft unabhängig vom Geldbeutel. Ärmere Menschen sind meist großzügiger. Und die Pandemie sowie das Hochwasser im Ahrtal hätten gezeigt, dass Krisen unvermittelt passieren. Manche spenden, weil sie die Not kennen.
Hilfen für Frauen
Amica gründete sich während des Bosnienkriegs zu Beginn der 1990er-Jahre. Nächstes Jahr feiert der Verein dreißigjähriges Bestehen. Anfangs sammelten die Mitglieder Hilfsgüter und fuhren sie auf den Balkan. Später unterstützten sie den Aufbau eines Frauenhauses in Tuzla. Sie blieben in Bosnien-Herzegowina tätig, auch als der Krieg beendet und die internationale Aufmerksamkeit längst erloschen war. Bis heute betreuen sie dort viele Opfer sexualisierter Gewalt.
Um Projektgelder einwerben zu können, hat sich Amica bald vom ehrenamtlichen Verein zur Hilfsorganisation entwickelt. Und peu à peu kamen neue Einsatzgebiete hinzu. Seit 2012 ist Amica in Libyen, seit 2014 im Libanon sowie seit 2018 in der Ukraine aktiv und engagiert sich zugleich hierzulande für Frauenthemen. „Als feministische Organisation arbeiten wir an den Strukturen, die der Auslöser für die Probleme sind“, beschreibt Grothe das Selbstverständnis. Alle Krisen, egal ob Klimaschäden, Corona oder Kriegen, beträfen Frauen in besonderem Maße.
„Als feministische Organisation arbeiten wir an den Strukturen, die der Auslöser für die Probleme sind“
Cornelia Grothe, Geschäftsführerin von Amica
Amica heißt Freundin – „der Name ist schon Philosophie“, sagt Grothe. Die Organisation sieht ihre Rolle mehr bei den Frauenrechten denn in der Entwicklungshilfe. Doch ihre Tätigkeit beinhaltet auch mal Nothilfe wie 2020 infolge der Explosionskatastrophe im Libanon oder dieses Jahr in der Ukraine. Weil Amica immer mit einer oder mehreren einheimischen Partnern zusammenarbeitet, kann die kleine Organisation oft schneller und flexibler agieren als große.
Das Amica-Team hat seinen Sitz von Beginn am im soziokulturellen Zentrum Fabrik in der Habsburgerstraße. Es ist zwar gewachsen, aber überschaubar geblieben: Außer dem ehrenamtlichen Vorstand gibt es sieben Mitarbeiterinnen, einige davon in Teilzeit, und regelmäßig Praktikantinnen. Grothe ist seit drei Jahren bei Amica. Mit ihrer Stelle hat sich die Organisation weiter professionalisiert und entsprechende Strukturen geschaffen. Jetzt kümmert sich auch eine Mitarbeiterin um Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising. Das wird umso wichtiger, je älter die Mitglieder der Gründergeneration werden. Dass feministische Themen auch außenpolitisch in den Fokus rücken, stimmt Grothe zuversichtlich.
Amica finanziert sein Budget von knapp einer Millionen Euro zum größeren Teil aus Projektzuschüssen unter anderem vom Bund. Bei den Spenden muss sich der Verein aufgrund seines Schwerpunkts weniger profilieren als klassische Hilfsorganisationen. Der Anteil von Dauerspendern liegt mit 70 Prozent sehr hoch. Dennoch sind die Weihnachtsaktionen wichtig: „Die brauchen wir wirklich, um übers Jahr zu kommen“, sagt Cornelia Grothe. Aus Erzählungen ihrer Kolleginnen weiß sie, dass es früher manchmal zum Jahresende schwierig war, das Geld für die Gehälter aufzubringen.
Immer weniger geben immer mehr
So etwas gab es bei Caritas International nicht. Das 1921 gegründete katholische Hilfswerk gehört zu den Top 20 Hilfsorganisationen in Deutschland, schätzt Dariush Ghobad und stapelt damit wahrscheinlich noch tief. Der Spendenprofi, der sich schon für viele, meist kirchliche, Institutionen um Fundraising gekümmert hat, leitet seit 2020 das Referat Öffentlichkeitsarbeit von Caritas International. Es zählt allein vier Mal so viele Mitarbeitende wie Amica, nämlich 28 der insgesamt 134 in Freiburg. Daran erkennt man den Stellenwert, den Kommunikation und Marketing hier haben.
“Aus der Perspektive der Not gibt es keine Konkurrenz.”
Dariush Ghobad, Referatsleiter Öffentlichkeitsarbeit Caritas International
Denn das Geld, das Caritas International einsetzt, besteht fast komplett aus Spenden. 94,7 der 96,2 Millionen Euro waren es 2021. Knapp ein Drittel davon kam von regelmäßigen Spendern, der Rest sind sogenannte Katastrophenspenden. Die waren vergangenes Jahr besonders hoch aufgrund der Flutschäden im Ahrtal. 2022 toppt diese Zahl nochmals. Aufgrund des Ukrainekriegs war schon im August das Spendenniveau des Vorjahres erreicht, berichtet Ghobad. Was das für die Weihnachtskampagne bedeutet und ob die Inflation die Spendenbereitschaft schwächt, war beim Gespräch Anfang November völlig offen.
Gerade hatte sein Team 120.000 Briefe verschickt. Bereits seit Juli haben sie dieses Mailing vorbereitet: überlegt, welche Projekte in welchen Ländern in den Mittelpunkt gerückt werden sollen, Informationen gesammelt, Fotos gemacht, Beiträge geschrieben, den Flyer gestaltet. Sie wollen vor allem regelmäßige Spender damit erreichen, denn die sind besonders wichtig für die Planung. Die läuft immer zweigleisig, erläutert Ghobad: für reguläre Projekte sowie für den Katastrophenfall.
Das Problem von Caritas International wie von vielen anderen Hilfsorganisationen: Zwar steigt die Spendensumme, doch die Zahl der Spender sinkt. Immer weniger Menschen geben immer mehr. „Wir müssen uns fragen, ob wir die Menschen noch gut erreichen“, sagt Ghobad. Der durchschnittliche Caritas-Spender ist älter als 50, eher weiblich und sehr treu – selbst wenn die katholische Kirche in der Kritik steht. Die Rolle von Glaube und Konfession nimmt ab. Noch gehen etwa 90 Prozent der Spenden auf klassische Kommunikationswege wie Anzeigen oder Anschreiben zurück. Doch Ghobad geht davon aus, dass sich das bald ändert. Denn für die 30- bis 50-Jährigen seien andere Kanäle und Narrative nötig. Caritas International bedient bereits viele neue Medien und testet neue Strategien.
Wie groß ist dabei die Konkurrenz mit anderen Hilfsorganisationen? „Aus der Perspektive der Not gibt es keine Konkurrenz“, sagt Ghobad. Aus der Perspektive des Spendenmarktes hingegen entstehe schon eine Konkurrenz, vor allem um Aufmerksamkeit. Dennoch sieht der oberste Fundraiser von Caritas International mehr verbindende als trennende Elemente. Deshalb arbeiteten die großen NGOs teilweise zusammen und stimmen sich bei wichtigen Themen ab. Mit der Diakonie, Unicef und dem Roten Kreuz bildet Caritas International das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe. „Es ist gut, egal, wo man spendet“, sagt Ghobad.