Ob im SC-Stadion, am Radiomikrofon, auf Bühnen oder in der Zirkusmanege – Julica Goldschmidt ist Expertin für verschiedene Stimmungslagen. Im Interview mit Netzwerk Südbaden spricht die Moderatorin über Stolperfallen, schlechte und gute Laune, über die aktive Fanszene, das Grauen nach einem Unfall und das Gefühl, endlich angekommen zu sein.
Interview: Julia Donáth-Kneer
Julica, acht Jahre lang hast du gemeinsam mit Oliver Bolz die Morningshow bei BadenFM moderiert. Ist morgens die Stimmung anders als am Rest des Tages?
Julica Goldschmidt: Absolut. Da ist der Tag noch frisch. Man selbst muss schnell wach werden und im besten Fall gut drauf sein. Ich finde, es hat etwas sehr Eingeschworenes, Verbindendes, fast schon Intimes am Morgen, obwohl man da die meisten Hörer hat. Das ist eine schöne Stimmung, man wird zusammen wach, geht gemeinsam in den Tag. Der Vormittag, den ich momentan mache, ist stimmungsmäßig eher solide. Da ist man schon angekommen, alle wurschteln vor sich hin. Morgens ist man nicht so verbraucht, man musste noch nicht so viel Energie aufwenden.
Bist du ein Morgenmuffel?
Julica: Ich bin eigentlich eine totale Eule. Wenn man mich schlafen lässt, stehe ich nicht auf. In den acht Jahren habe ich jeden einzelnen Morgen, wenn mein Wecker vor fünf Uhr klingelte, gedacht: Das kann jetzt nicht wahr sein. Aber weil ich den Job so gerne gemacht habe, war das dann okay. Mental bin ich also kein Morgenmuffel, körperlich sehr. Aber ich kann schnell da sein, schnell gute Laune haben. Ich halte allerdings nichts davon, sich zu überbordend guter Laune zu zwingen. Man darf auch mal einen blöden Tag haben. Dann springt eben die Professionalität an, Mundwinkel hochziehen und wenigstens so tun, als würde man lächeln. Das ist eine Not-, keine Dauerlösung. Denn die Leute merken schnell, wenn du es nicht fühlst.
Wie ist die Stimmung, wenn am Tag zuvor etwas richtig Schlimmes passiert ist? Wie geht man damit in der Morgenshow um?
Julica: Das ist ein Balanceakt. Eine Morgenshowmoderatorin hat den Auftrag, die Leute gut in den Tag zu begleiten. Niemand will direkt nach dem Aufstehen schlecht gelaunt sein. Daher ist es das Credo Radiomachender – zumindest habe ich es so gelernt –, schlechte Stimmung nicht zu verstärken. Konstruktive Herangehensweise ist das Gebot unserer Zeit. Denn Ignorieren kann man das natürlich nicht. Wenn etwas Schlimmes passiert, ein Attentat wie aktuell in München, Aschaffenburg oder Magdeburg, dann wird vieles im Radio geändert: Comedy wird rausgenommen, die Musik wird angepasst, alles läuft ein bisschen gemäßigter, die eigene Sprache ist nicht mehr allzu fröhlich. Im besten Fall ist die Sendung pietätvoll, und bindet die Lage gut ein, um der aktuellen Stimmung gerecht zu werden. Dem Anlass angemessen, aber nicht destruktiv.
Versucht man, trotzdem irgendwie positiv rauszukommen?
Julica: Ich persönlich nicht. Es gibt so schlimme Dinge, da muss ich den Leuten nicht um jeden Preis einen positiven Dreh einreden. Das käme mir falsch vor.
Und wenn die Stimmung gut ist?
Julica: Das ist ein Selbstläufer, das sind die leichtesten Sendungen. Alle wollen Teil des guten Gefühls sein, alle machen mit. Wenn die ganze Nation fröhlich ist, ist es eine gemähte Wiese.

Du bist seit vielen Jahren im Freiburger Weihnachtszirkus Circolo als Conférencière für die Stimmung im Zelt zuständig. Musst du da die Laune lenken oder ist das auch ein Selbstläufer?
Julica: Lenken nicht, verstärken vielleicht ein bisschen. Wir möchten natürlich, dass die Leute aus diesem Zauber kommen und glücklich sind. Ich finde, dazu gehört unbedingt, dass gelacht wird. Und das kann ich steuern. Ich schaue, wo ich einen Scherz einbauen kann und an welcher Stelle eine Interaktion mit dem Publikum möglich ist. Der Vorteil ist natürlich: Die Leute kommen schon gut gelaunt an. Da sind die Voraussetzungen ideal. Aber interessanterweise gibt es völlig unterschiedliche Stimmungen im Publikum. Ich merke relativ schnell, wie die Leute drauf sind. Es gibt welche, die sind ab der ersten Sekunde Feuer und Flamme. Und es gibt ein Publikum, das gediegener, gemütlicher ist. Da muss ich mehr kitzeln, mehr engagieren, mehr reizen. Denn ich möchte, dass die genauso ausflippen.
In dieser Saison habt ihr in der Weihnachtszeit 28 Shows gespielt, jeweils eine am Nachmittag und eine am Abend. Ist in der 26. Show deine eigene Stimmung noch so gut wie in der zweiten?
Julica: Das ist eine Frage der Energie, die mir entgegenkommt. Es ist meine 26. Show, aber für die Leute ist es die erste. Sie haben Geld bezahlt, freuen sich, möchten schöne Stunden erleben. Wenn das Publikum gute Laune hat, dann trägt mich das total. Das meine ich genauso. Stimmung ist keine Einbahnstraße. Wenn ich merke, die haben richtig Lust, dann habe ich auch richtig Lust. Es ist eine Wechselwirkung, ein Geben und Nehmen. Das ist der große Zauber beim Zirkus: Es ist ja nie der eine Abend wie der andere, wir haben es immer mit anderen Menschen zu tun.
Vor zwei Jahren geschah der Worst Case: Der Hochseilartist Ladislav Diablo Kaiser stürzte vor den Augen der Zuschauer fünf Meter ungebremst auf den Boden, brach sich mehrere Knochen. Wie fängst du als Moderatorin so eine Stimmung auf?
Julica: Das ist sicherlich das extremste Beispiel meiner Karriere. Ich stand für die Abmoderation bereit, also direkt davor. Und ich dachte noch: Das sieht anders aus als sonst. Aber ich dachte auch: Das geschieht ja nicht. So eine Ausnahmesituation kann nicht geprobt werden, dafür gibt es keinen Regieplan, aber bei allem Hoffen und Wünschen, dass nichts passiert, muss man eben doch damit rechnen. Deshalb habe ich mir von Beginn an „Notfall-Sätze“ bereitgelegt. Und ich war in dieser Situation heilfroh, dass ich sie abspulen konnte. Es ging zuallererst darum, Ruhe zu bewahren, was natürlich schwer ist, wenn gerade jemand aus fünf Metern auf den Manegeboden gefallen ist. Ich habe meine Rolle schnell erkannt, habe nach Ärzten im Publikum gefragt. Da sind dann superheldenmäßig Leute über die Absperrung gesprungen, das werde ich nie vergessen. Ich habe dann alle gebeten, im Foyerzelt zu warten, bis wir die Situation abschätzen können. Zum Glück war schnell klar: Keine Lebensgefahr, nichts, was Ladislav dauerhaft einschränken wird. Also haben wir gemeinsam mit der Zirkusdirektion entschieden, weiterzuspielen. Vor allem, um die Menschen nicht mit diesem Schrecken nach Hause schicken zu müssen. 80 Prozent sind tatsächlich geblieben. Die Show ging weiter und wir haben die ganze Zeit News aus dem Krankenhaus ans Publikum weitergegeben: Er hatte sich das Schlüsselbein und alle Rippen auf der rechten Seite gebrochen, war aber ansprechbar. Es herrschte für den Rest des Tages eine ganz besondere Stimmung: Alle waren voller Adrenalin, erleichtert, fröhlich, es war wie ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl. Ladislav ist Artist in achter Generation, er steht mittlerweile übrigens längst wieder auf dem Seil – auf eigenen Wunsch nach wie vor ohne Sicherung.
Seit eineinhalb Jahren bist du auch als Stadionsprecherin bei den Spielen des SC Freiburg im Einsatz. Unterscheidet sich die Stimmung im Stadion sehr, je nachdem, welcher Gegner kommt?
Julica: Klar, das hat viel mit Rivalitäten und Neutralitäten zu tun. Ein Spiel gegen den VfB Stuttgart ist ein ganz anderes als gegen Bremen. Da ist die Stimmung von Sekunde Eins aufgeheizt. Das schaukelt sich hoch. Das habe ich neulich erst erlebt, da haben die gegnerischen Fans die unseren mit Schmähgesängen noch nach dem Abpfiff beleidigt.

Es gab zuletzt eine Diskussion, die wir auch im Heft aufgegriffen haben. Es ging um den Wunsch, dass die Stadionsprecherin zum Beispiel den Namen des Torschützen nur noch einmal nennt. Das hat sich mittlerweile erledigt und du kannst wieder so agieren, wie du möchtest. Inwiefern ist es überhaupt deine Aufgabe, für Stimmung sorgen?
Julica: Ich finde, ich habe gar nicht den Auftrag, Stimmung zu machen. Die ist ja da. Ich finde es eher übergriffig, wenn man Fußballfans animieren möchte, gut drauf zu sein. Gerade SC-Fans können das sehr gut allein. Die brauchen keine Stadionsprecherin, die ihnen sagt, was zu tun ist. Das mache ich auch nicht. Das ist vielleicht in anderen Stadien bei anderen Vereinen normal. In Leipzig ist es gewollt, dass da jemand am Spielfeldrand den Einheizer gibt. Aber zu Freiburg passt das nicht. Zu mir im Übrigen auch nicht. Ich bin niemand, der auf Bühnen steht, La-Ola-Wellen ausruft und ruft: Wo sind die Hände? Im Fußballstadion wissen die Leute, was zu tun ist. Die brauchen niemanden, der ihnen etwas vorschreibt. Wenn die Süd vorgeht, gehen die anderen mit.
Wie ist die Stimmung nach einem Sieg?
Julica: Dann ist mein Job erledigt. Wenn die Mannschaft gewinnt, ist es das höchste Gebot, die Fans feiern zu lassen. Neuerdings fahren wir sogar die Musik runter, weil die Fans allein feiern wollen. Das SC-Freiburg-Lied ist dann leiser, damit man die Sprechchöre hören kann. Die Animation so gering wie möglich zu halten ist ein Wunsch aus der aktiven Fanszene. Sie wollen Stimmung aus sich selbst heraus kreieren. Ich glaube, man ist generell gut beraten, mit dem zu arbeiten, was schon da ist. Den Leuten nichts aufzustülpen. Und gerade Fußballfans können das, das ist in der Fan-DNA so angelegt.
Und nach einer Niederlage?
Julica: Dann spielen wir den SC-Song sowieso nicht. Und ich arbeite mit anderer Musik. Machen wir uns nichts vor: Wenn man ein Spiel verloren hat, ist die Stimmung nicht gut. Oasis geht eigentlich immer. Aber ich würde dann nicht unbedingt „Happy“ von Pharell Williams spielen.
Zu deinen Aufgaben gehört es auch, für Sicherheit zu sorgen, richtig?
Julica: Ja genau. Meine Jobbezeichnung lautet offiziell Stadion- und Sicherheitssprecherin. Ich bin dafür da, den Rahmen vorzugeben, sachdienliche Hinweise zu geben. Das kann ganz schön undankbar sein. Ich hatte schon Diskussionen mit dem Regieteam. Dann wird mir gesagt, du musst schärfer sein, wenn sie nicht aufhören, Bengalos zu zünden. Aber die Leute wissen doch, dass sie das nicht dürfen. Jeder, der ein Bengalo zündet, jeder, der einen Gegenstand aufs Spielfeld wirft, weiß, dass er das nicht darf. Dass ich das sagen muss, ist klar. Aber ich fühle mich nicht in der Rolle der Oberlehrerin. Hätte ich Freude daran, Leuten vorzuschreiben, was sie tun sollen, hätte ich einen anderen Job.
Du hast gerade zu Beginn als Stadionsprecherin viel Kritik einstecken müssen, auch, was deine eigene Stimmung angeht.
Julica: Oh ja! Mir wurde zum Beispiel häufig vorgeworfen, emotionslos zu sein, was ich sehr anmaßend finde. Man kann ja vieles kritisieren, aber zu sagen, ich fühle das nicht, halte ich für eine Unverschämtheit. Stimmung hat ganz viel damit zu tun, was man mit dem eigenen Wohlbefinden kreiert. Ob das im Stadion ist oder auf der Bühne, wenn ich befreit aufspielen kann, ist es viel leichter, meine eigene Stimmung zu transportieren. Aber wenn ich damit rechnen muss, dass mich andere direkt bewerten, kann ich nicht mehr aus dem Vollen schöpfen. Das war sehr schwer am Anfang. Das ist wie eine Negativspirale, die sich selbst verstärkt.
Und wie ist es jetzt?
Julica: Sehr viel besser, das wird mir auch rückgemeldet. Ich habe das Gefühl, dass ich ohne angezogene Handbremse agieren kann. Jetzt ist die Angst weg, die ersten Stürme habe ich überstanden. Ich bin angekommen. Das setzt eine ganz neue Energie frei. Das ist, was ich vorhin meinte: Stimmung ist keine Einbahnstraße. Es passiert so viel, was ohne gesprochene Worte stattfindet, ohne das Offensichtliche. Wenn man sich wohlfühlt, merken das auch die anderen. Wenn alle gemeinsam ins Schwingen kommen, dann läuft die Sache.