Felssturz, Steinschlag und Hangrutsch können Leben gefährden. Im Schwarzwald kommen sie häufig vor, legen dabei Fahrstrecken lahm und führen zu Evakuierungen. Über Ursachen der Naturereignisse, Sicherheitsmaßnahmen und die Arbeit von Geologen.
Text: Christine Weis
Zum Glück war niemand niemand auf der Straße, als der Felsen herabstürzte. Das denken viele, besonders wenn es um eine Strecke geht, die man selbst regelmäßig befährt. In den Landkreisen Waldshut, Breisgau-Hochschwarzwald und Lörrach ist die Wahrscheinlichkeit für solche Ereignisse höher als anderswo, da viele Straßen durch enge Täler mit steilen Wänden führen. Namen wie Höllental, Wehratal, Wutachschlucht und Schlüchttal deuten bereits darauf hin. Letzteres verbindet auf der L 157 die Orte Witznau und Riedersteg im Kreis Waldshut und war im vergangenen Jahr von Ende April bis Oktober nach einem Felssturz nicht befahrbar. Rund zehn Kubikmeter Gestein landeten insgesamt auf der Straße durchs Schlüchttal. Die Ingenieurgeologen des beim Regierungspräsidium Freiburg (RP) angesiedelten Landesamtes für Geologie, Rohstoffe und Bergbau (LGRB) entdeckten bei der Untersuchung eine instabile Felspartie, die eine Verkehrsgefahr darstellte und zur Sperrung führte. Die Sicherungsarbeiten, für die das Regierungspräsidium zuständig war, kosteten 700.000 Euro. Dabei wurden unter anderem lockere Steine entfernt, Felsen mit Spritzbeton, Ankern oder Betonbalken gesichert sowie Geröllfang- und Steinschlagschutzzäune installiert.
Dominik Ehret ist seit vierzehn Jahren am LGRB und leitet das Referat Landesingenieurgeologie im RP. Er war schon häufig im Schlüchttal im Einsatz, da es dort in den vergangenen Jahren wiederholt zu Stein- und Blockschlägen sowie Felsstürzen kam. „Wir begutachten und bewerten die Lage vor Ort und geben Handlungsempfehlungen für die zuständigen Behörden, etwa den Landratsämtern. Diese treffen dann die Entscheidungen und beauftragen die Sicherheitsarbeiten“, erklärt Ehret. Aktuell sind sechs Ingenieurgeologen und eine Ingenieurgeologin beim LGRB beschäftigt, das als geowissenschaftliche Fachstelle für ganz Baden-Württemberg zuständig ist.
Ehret erläutert ihre Vorgehensweise exemplarisch: „Wir werden etwa von der Straßenmeisterei über einen Felsabgang informiert und rücken dann am selben oder spätestens am nächsten Tag aus.“ Meist sei das Gelände schwer zugänglich, vielfach müssten sie klettern oder sich abseilen. Mit einer Drohne verschaffen sie sich einen Überblick und lokalisieren den entsprechenden Abschnitt. „Nachdem wir die Ausbruchsstelle untersucht haben, geben wir eine Gefährdungseinschätzung ab und schlagen Sofortmaßnahmen vor. Nach genauerer Analyse folgen gegebenenfalls umfangreiche Arbeiten wie im Schlüchttal.“ Im Schnitt haben sie zweimal im Monat einen Einsatz nach einem Felsabgang.
Als Ursachen für Felsstürze und Steinschläge nennt Ehret rasche Temperaturwechsel von Frost- zu Tauwetter oder Wasserdruck durch Starkregen. „Die Gesteine Gneis und Granit, wie sie im Südschwarzwald vorkommen, sind zwar stabil, aber nicht homogen. Es gibt Schwächezonen und Trennflächen, an denen es durch auslösende Momente wie extreme Temperaturwechsel zu Auflockerungen und Abbrüchen kommen kann“, erläutert Ehret. Entscheidend sei die steile Lage des Geländes.
„Wir begutachten und bewerten die Lage vor Ort und geben Handlungs-empfehlungen für die zuständigen Behörden.“
Ingenieurgeologe Dominik Ehret
Verstärkt der Klimawandel Felsstürze und Hangrutsche? „Die steigenden Temperaturen sowie Veränderungen in Niederschlagsmenge und -verteilung führen sicherlich vermehrt zu Extremereignissen wie Sturzfluten oder Trockenheit“, antwortet Ehret und ergänzt: „Diese Faktoren beeinflussen Stürze, aber wir können nicht konkret sagen, dass dadurch die Anzahl der Ereignisse zunimmt, weil der Beobachtungszeitraum zu kurz ist und es keine ausreichende Datenlage gibt.“ Fakt sei jedoch, dass sich Meldungen über Felsstürze und auch Hangrutsche in letzter Zeit häuften.
Felsstürze gefährden Menschen nicht nur auf der Straße, sondern auch in ihren Häusern. So mussten etwa 2019 im Todtnauer Ortsteil Gschwend Bewohner ihre Häuser verlassen, weil am Hang über einem Wohngebiet lockere Granitfelsen entdeckt wurden. Ehret berichtet über einen weiteren Fall, als er einen Tag vor Heiligabend die Evakuierung eines Wohnhauses im Kleinen Wiesental anriet. „Das ist mir damals wirklich nicht leichtgefallen.“ Seine Einschätzung war am Ende richtig: Ein Blockschlag verfehlte das Haus nur knapp.
Wutachschlucht in Bewegung
Hangrutsche sind im Schwarzwald seltener als Felsstürze, haben jedoch oft größere Dimensionen, wie aktuell in der Wutachschlucht. Seit Februar ist dort die L 170 zwischen der Abzweigung bei Bonndorf-Boll und dem Gasthaus Schattenmühle voraussichtlich bis Ende des Jahres voll gesperrt, weil umfangreiche Sicherungs- und Sanierungsarbeiten notwendig sind. Grund ist ein fortschreitender Böschungsrutsch, infolgedessen sich tiefe Risse auf der Fahrbahn bildeten.
„Aus geologischer Sicht ist die Wutachschlucht mit ihren 20.000 Jahren sehr jung“, sagt Landesingenieurgeologe Ansgar Sage. Vereinfacht erklärt, herrscht in dem jungen Tal viel Bewegung, was es zum großen Rutschgebiet macht. Wäre dort keine Straße, wüsste das möglicherweise nur die Fachwelt. Doch es gibt eine Straße, die der Bewegung nicht standhält, aufbricht und damit auch die Bevölkerung aufrüttelt und beeinträchtigt. Der Unmut über die Sperrung des rund drei Kilometer langen Abschnitts ist bei den betroffenen Anwohnern groß, da die Umleitung über die B31 bei Neustadt und Lenzkirch rund 30 Kilometer beträgt.
„Der viele Regen in den vergangenen Monaten hat die Situation verschärft.“
Ansgar Sage
„Aus Dokumentationen wissen wir, dass es bereits in den 1960er-Jahren Bewegungsmessungen gab“, berichtet Sage, der beim LGRB das Projekt Wutachschlucht betreut. Seit März laufen die Sofortmaßnahmen und Untersuchungen. Ein Wasserlauf im Oberhang habe die Rutschung aktiviert. „Der viele Regen in den vergangenen Monaten hat die Situation verschärft“, erklärt Sage. „Wir entwässerten zunächst den Hang händisch mit flexiblen Doppelrohren, um die Rutschung zu stoppen, die phasenweise bei einem Zentimeter pro Woche lag“, sagt Sage Mitte Mai. Mittlerweile habe sich die Bewegung verlangsamt. Um eine effiziente Sanierung und zu sinnvollen nachhaltigen Lösungen zu kommen, benötige man längerfristige Messungen. In einem weiteren Schritt werden nun Bohrungen durchgeführt und ein Untergrundmodell erstellt. Dies bilde die Grundlage für die Sanierungsmaßnahmen der Straße. „Denkbar sind etwa Spritzbetonvernagelung und Baustoffgitter. Klar ist auch, dass man das Wasser dauerhaft ableiten muss“, sagt Sage. Denn es sei der Motor der Rutschung, ebenso wie Steillage und die Beschaffenheit des Gesteins. Grundsätzlich werden sich die Hänge der Wutachschlucht weiterhin bewegen, das könne man nicht stoppen.