Wirtschaftskraft, Freizeitangebote und Vereinsleben prägen die Stadt an der Elz. Von der Edelsteinschleiferei bis zur Start-up-Schmiede: ein Streifzug durch Waldkirch.
Text: Christine Weis • Fotos: Alex Dietrich
Mittwochvormittag Anfang April. Bauernstände und Straßencafés säumen den Waldkircher Marktplatz, eingerahmt von historischen Stadthäusern. Menschen kaufen ein, trinken Kaffee, unterhalten sich. Die Ruine der Kastelburg auf der einen Seite und der Kandelberg auf der anderen bilden die natürliche Kulisse für das Stadtbild. Mitten auf dem Marktplatz steht der österlich geschmückte Marienbrunnen, davor spielt Karl-Heinz Kury seine Drehorgel. Seit 20 Jahren begleitet er die Markttage musikalisch und sammelt dabei Spenden für wohltätige Zwecke. Wegen einer Erkrankung musste er seinen Beruf als Bäcker aufgeben. Die Orgel ist mit Holzfiguren in Elztäler Tracht verziert und trägt den Namen des lokalen Herstellers: Jäger & Brommer. Aufbewahrt wird sie im Rathaus, erzählt Kury.
Dort treffen wir Oberbürgermeister Michael Schmieder und Wirtschaftsförderin Melanie Gehl-Moser zum Interview. Vom Fenster des Besprechungsraums dringen Marktgeräusche und die Töne der Orgelpfeifen herein. Die Klänge leiten direkt ins Gespräch über die Stadt als Wirtschaftsstandort. Denn seit über 225 Jahren ist der Orgelbau das Markenzeichen von Waldkirch. Nach wie vor gibt es vier aktive Betriebe, eine Orgelstiftung, ein jährliches Orgelfest und eine Dauerausstellung im Elztalmuseum. Noch älter ist das Handwerk der Edelsteinschleiferei. Die Schleifereien siedelten sich ab dem 14. Jahrhundert am Gewerbekanal nahe der Elz an, wo die unter Denkmalschutz stehende Schleiferei August Wintermantel erhalten ist. Bernd Wintermantel betreibt heute die 200 Jahre alte Firma als Schmuckgeschäft.


Ein weiterer Name mit Geschichte ist Mack Rides. Das Familienunternehmen begann 1790 mit dem Bau von Pferdewagen, später folgten Kutschen, Wohnwagen und Karussells für Schausteller. In den 1920er-Jahren entstand die erste Achterbahn, heute produziert das Unternehmen bis zu fünfzehn Bahnen pro Jahr für einen weltweiten Markt – darunter viele für den Europa-Park in Rust.
Neben Mack Rides zählen der Sensorhersteller Sick und der Verpackungsspezialist Faller Packaging zu den Global Playern der Stadt. Melanie Gehl-Moser hebt jedoch kein einzelnes Unternehmen hervor, wenn sie darüber spricht, was den Wirtschaftsstandort Waldkirch auszeichnet. Sie betont vielmehr den breiten Branchenmix: Handwerk, Industrie, Einzelhandel, Gastronomie, Tourismus, Landwirtschaft, Dienstleistungen im Gesundheits-, Verwaltungs- und Bildungswesen. Michael Schmieder fügt hinzu: „Vom Hoch- und Tiefbau über Straßen- und Holzbau bis zum Sanitärausstatter ist hier alles vertreten.“ Bei städtischen Aufträgen hätten lokale Betriebe, wann immer möglich Vorrang, ein Zeichen dafür, dass man die sie und die Arbeitsplätze am Ort halten will.

Maßvoll wachsen
Damit das gelingt, braucht es sicherlich auch attraktive Gewerbeflächen und Möglichkeiten zur Expansion? „Ja, allerdings müssen sich Arbeit und Wohnen im Gleichschritt entwickeln“, antwortet der Oberbürgermeister. Maßvoll wachsen, sorgsam und naturverträglich Flächen verbrauchen, lautet sein Credo. „Wir dürfen auch der Landwirtschaft nicht den Boden wegnehmen“, sagt Michael Schmieder
Einige Zahlen verdeutlichen die Flächennutzung in Waldkirch mit seinen Stadtteilen Buchholz, Kollnau, Siensbach und Suggental: Die Gesamtfläche umfasst rund 4800 Hektar, zwei Drittel davon sind bewaldet, circa 1000 Hektar dienen der Landwirtschaft, das Gewerbe belegt etwa 100 Hektar, Siedlung und Verkehr rund 650 Hektar. Die Stadt zählt 9700 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte und hat 21.400 Einwohner.
Mit dem Gewerbegebiet Inried wurde ein neues rund 8 Hektar großes Areal ausgewiesen. Faller Packaging will davon 3,5 Hektar nutzen und zwei innerstädtische Werke dorthin verlagern. Die Erschließungs- und Vergabeverfahren laufen, erste Bauprojekte könnten Ende 2026 oder Anfang 2027 beginnen. Es gibt Interessenten aus der Region und von außerhalb, doch bislang ist nur die Fläche für Faller vergeben, berichtet Gehl-Moser.
„Vereine sind der Kitt des gesellschaftlichen Zusammenhalts.“ — Michael Schmieder
Die Gemeinde will erreichen, dass sich Wohnen und Arbeiten mit möglichst geringem Flächenfraß parallel entwickeln können. Dazu verfolgt sie eine Strategie der Nachverdichtung und der Umnutzung bereits versiegelter Flächen. Als ein Beispiel hierfür nennt Michael Schmieder eine Wohnanlage auf dem ehemaligen Areal der Harry Roth Präzisionsdrehteile GmbH. Das Unternehmen zog 2020 in den Außenbezirk Brunnenrain West. In ähnlicher Weise wäre das auch mit dem Gelände von Faller Packaging denkbar.


Vor allem günstiger Wohnraum ist knapp, die Nachfrage hoch, die Tallage begrenzt die Ausdehnung. Das neue Baugebiet „In der Elzschleife“ ist in Kollnau geplant, und kürzlich hat der Gemeinderat einem Bebauungsplan für das rund drei Hektar große Areal der ehemaligen Herzkreislauf-Klinik zugestimmt. „Waldkirch ist als Wohnort sehr gefragt“, sagt Melanie Gehl-Moser. Das liege an der Nähe zu Freiburg, der guten Verkehrsanbindung mit der Breisgau-S-Bahn, dem Freizeit- und Bildungsangebot, der lebendigen Innenstadt mit einem funktionierenden Einzelhandel.
„In Waldkirch gibt es einen funktionierenden Einzelhandel, kaum Leerstand – und wenn, wird er schnell wieder gefüllt.“ — Melanie Gehl-Moser
Innenstadt und Innovation
Der Ort für Innovationen heißt in Waldkirch: Campus Fabrik Sonntag. „Dort gibt es seit einigen Jahren mit dem Ideenlabor Sonntag einen Coworking-Space für Freelancer und Start-ups“, erläutert Gehl-Moser. Seit 2024 ist das Ideenlabor Teil des Projekts „Zukunft.Raum.Schwarzwald“, unterstützt unter anderem von IHK Südlicher Oberrhein, Landkreis Emmendingen und Hochschulen aus Offenburg und Lörrach. Die Fördergelder fließen in die Ausstattung. Im Fokus stehen innovatives Arbeiten und Wissens- sowie Technologietransfer.
Auf dem Gelände der ehemaligen Seidenspinnerei Fabrik Sonntag am östlichen Ortsausgang Richtung Kollnau haben sich mehrere Firmen angesiedelt. Es gibt ein Ärzte- und Gesundheitszentrum sowie die Kulturkathedrale, ein Veranstaltungsraum für Ausstellungen, Konzerte, Kulturabende oder Firmenfeiern.


Wasserkraft.
„In Waldkirch gibt es einen funktionierenden Einzelhandel und kaum Leerstand – und wenn, wird er schnell wieder gefüllt“, sagt Gehl-Moser. Dass die Innenstadt lebendig ist, sei auch dem Engagement der Bürgerinnen und Bürger beziehungsweise den Vereinen zu verdanken, betont Michael Schmieder. Die ehrenamtlich organisierten Events reichen vom Fasnachtsumzug bis zum singenden Weihnachtsbaum. Letzterer ist ein zehn Meter hoher Aufbau, auf dem Sängerinnen und Sänger aus Chören der Region auf mehreren Ebenen auftreten. Schmieder berichtet von einem dreitägigen Mittelalterfest der Schwarzenberger Herolde, die mit nur 40 aktiven Mitgliedern das Fest ausrichteten. „Vereine sind der Kitt des gesellschaftlichen Zusammenhalts“, davon ist der Oberbürgermeister fest überzeugt.
Rund 200 Vereine gibt es in Waldkirch. Und auch der Rathauschef nennt sich einen Vereinsmenschen. Der 48-Jährige spielte Tenorhorn im Jugendblasorchester, wechselte zur Musikkapelle Siensbach, kickte beim FC Waldkirch und ist Mitglied der Narrenzunft Krakeelia. Vereinsleben ist Melanie Gehl-Moser ebenfalls wichtig. Die 46-jährige Volkswirtin ist wie Michael Schmieder in Waldkirch aufgewachsen. Sie war in der Katholischen Jungen Gemeinde Kollnau engagiert und ist Schwimmtrainerin im Sportverein.

Auf die Frage nach den Schwierigkeiten in der Stadt antwortet Schmieder: „Wir sind gut aufgestellt, aber es gibt viele Herausforderungen etwa in den Bereichen Digitalisierung, Fachkräftemangel, Demografie und wir haben einen Sanierungsstau bei Brücken und Straßen.“ Beim letzten Punkt hoffe er auf Mittel aus dem milliardenschweren Infrastrukturpaket des Bundes. Man wolle auch im Rathaus digitaler werden: Ein zentrales Bürgerservicezentrum soll künftig als zentrale Anlaufstelle dienen, und man verstärke das mobile Arbeiten für städtische Mitarbeitende.
Die Stadt engagiert sich zudem im Pflegebündnis mit den umliegenden Gemeinden. Ziel: Vernetzung, bessere Versorgung für Pflegebedürftige und mehr Unterstützung für pflegende Angehörige. „Gerade hier ist ehrenamtliches Engagement unverzichtbar“, sagt Schmieder. Der Bürgerbus ist eines davon: Er fährt im Stundentakt, 30 ehrenamtliche Fahrer steuern ihn, genutzt wird er vor allem von Senioren und Seniorinnen. Haltestellen sind beispielsweise die BDH-Klinik, der Bruckwald und das Suggental. Orte, die vom ÖPNV nicht erreicht werden. Der Bus bringt die Fahrgäste auch zum Marktplatz, wo Karl-Heinz Kury weiter die Drehorgel spielt, bis auch der letzte Gemüsestand abgebaut hat.