Die Stimmung im Land ist derzeit ziemlich aufgeladen. Das zeigt sich in Internetkommentarspalten ebenso wie im Straßenverkehr und natürlich auch im Wirtschaftsleben. Wir haben exemplarisch drei Bereiche herausgepickt, in denen Emotionen, im Positiven wie im Negativen, eine Rolle spielen. Ein Besuch am Arbeitsgericht, ein Blick in die Narrenzunft und ein Gespräch mit einem Wirtschaftswissenschaftler.
Text: Kathrin Ermert
Große Emotionen am Arbeitsgericht
Die Hände zittern, die Stimme bebt, die Klägerin weint. „Die Arbeit war mein Halt“, schluchzt die dunkelhaarige Frau. Die Kündigung habe ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Der Personalleiter des Arbeitgebers entgegnet: Sie habe jegliche Kontaktaufnahme abgeblockt und im 14-Tage-Rhythmus Krankschreibungen geschickt. „Das Team ist stinksauer auf Sie.“ Im Saal II des Arbeitsgerichts Freiburg geht es an diesem Montagmorgen sehr emotional zu. „Hören Sie mit Vorwürfen und Rechtfertigungen auf und überlegen, wie es weiter gehen kann“, mahnt deshalb Arbeitsrichter Martin Gremmelspacher die streitenden Parteien.
„Bei uns spiegeln sich die Emotionen der Menschen wider“, sagt Wolfgang Gundel, Richter und Pressesprecher des Freiburger Arbeitsgerichts. Hier werden sogenannte Güterichterverfahren wie am Fließband verhandelt – sechs an einem Vormittag, je etwa zwanzig Minuten pro Fall. Gundel und seine Kolleginnen und Kollegen entwickeln ein Gespür für den Umgang mit Gefühlen und versuchen, sie auf eine rationale Ebene zurückzuführen. „Emotionen stehen oft der Vernunft im Weg.“ Angesichts des Fachkräftemangels gab es kaum betriebsbedingte Kündigungen, was sich gerade ändert. Doch schlimmer ist es, wenn der Fall persönlich wird. „Die personen- oder verhaltensbedingten Kündigungen kränken mehr“, sagt Gundel. Und oft verbergen sich dahinter „soziologische Problemfälle“.

„Bei uns spiegeln sich die Emotionen der Menschen wider.“ – Wolfgang Gundel, Arbeitsrichter
Im Arbeitsgerichtsverfahren findet stets eine obligatorische Güte- vor der Kammerverhandlung statt. Sie ist formloser und lösungsorientiert. Man wirft nicht mit Paragrafen um sich, spricht auf Augenhöhe miteinander. „Wahrheit und Wirklichkeit sind sehr subjektiv, und wir waren nirgendwo dabei“, erklärt Gundel. Durch geduldiges Zuhören versuchen die Arbeitsrichterinnen und -richter, sich einen Eindruck zu verschaffen. Manchmal möchten sie den Kopf schütteln, aber sie nehmen die Probleme der Menschen immer ernst, betont Gundel. Die Güteverhandlung gleicht einer Schlichtung, an deren Ende kein Urteil steht, sondern im Idealfall eine einvernehmliche Lösung. Nur wenn das nicht klappt, kommt es zur Kammerverhandlung, die wesentlich länger dauern kann. Ziel des Arbeitsgerichts ist es daher, die Mehrheit der Fälle in der Güteverhandlung zu lösen. Zumal ein Vergleich, dem beide Seiten zustimmen, nachhaltiger sei als ein Urteil, gegen das sie Berufung einlegen können, erklärt Gundel: „Das Urteil ist archaischer, der Vergleich bedeutet Rechtsfrieden.“
Auch die aufgelöste Klägerin einigt sich mit ihrem Personalchef auf einen Vergleich. Beide sind ohne Anwalt erschienen. Das sei grundsätzlich kein Nachteil, betont Gundel, doch in diesem Fall hätte eine Vertretung geholfen, wegen der emotionalen Distanz. „Für jemand anderen kann man Sachen besser durchbringen – man schiebt eine Ebene zwischenrein.“ Eine halbe Stunde vorher hatten sich die Anwältin eines Seniorenheims und der Anwalt dessen abgemahnter Mitarbeiterin sehr beharkt. Arbeitsrichter Gundel kennt beide und weiß, dass der Streit aufs Dienstliche beschränkt bleibt: „Die Stimmung zwischen den Anwälten ist freundlich. Sie müssen sich ja wieder begegnen können.“
Viel Stimmung in der Fasnet
Beim Thema Stimmung denken in dieser Jahreszeit viele an die Fasnet. Armin Becherer zum Beispiel. Der Banker verlässt am Vorabend des Schmutzigen Dunschdig seinen Schreibtisch und tauscht Sakko gegen Schuttiganzug. Im Hauptberuf leitet Becherer die Unternehmenskundenbetreuung der Sparkasse Freiburg, im Ehrenamt steht er seit 2013 als Zunftmeister an der Spitze der Elzacher Narren, die sich zu den traditionsreichsten im Land zählen. Ihre älteste urkundliche Erwähnung stammt aus dem 16. Jahrhundert, 1924 waren die Elzacher Gründungsmitglied der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte, aus der sie 1953 wieder austraten, weil sie ihnen nicht mehr traditionell genug war. Seit 1963 bilden sie einen Viererbund mit Rottweil, Oberndorf und Überlingen und treffen sich alle drei bis vier Jahre zu einem Narrentag, das nächste Mal 2027 in Elzach.

„Fasnet ist dafür da, Dampf abzulassen, das geht mit Maske gut.“ Armin Becherer, Zunftmeister der Elzacher Narrenzunft
Was zur Fasnet gehört, lernt in Elzach jedes Kind. Becherer und seine Zunftvorstandskollegen geben „Fasnetunterricht“ für Grundschule und Kindergärten, damit die Kleinen keine Angst vor den grimmigen Masken haben und lernen, was der Schuttig – so heißt die Elzacher Fasentfigur – anzieht oder welche Narrensprüche es gibt. Die Narrenzunft Elzach hat 2000 Mitglieder in der 7000-Seelen-Stadt. Becherer ist als 18-Jähriger in die Zunft eingetreten, wie zuvor sein Großvater, Vater und wie fast alle jungen Männer in Elzach. Die Frauen organisieren sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts separat in Gruppen als Maschkele.
„In Elzach geht man nicht auf die Fasnet, sondern man macht Fasnet“, sagt Becherer. Er mag das Ursprüngliche an der Tradition. Dass die ganze Stadt gemeinsam feiert, über alle Alters- und gesellschaftlichen Grenzen hinweg: Das mache die besondere Stimmung aus. Drei Tage lang, von Fasnetsonntag bis -dienstag, trägt jeder Schuttig seinen Anzug und die Holzmaske samt Strohhut mit Schneckenhäusle, sobald er das Haus verlässt, und nimmt damit eine andere Rolle ein. „Fasnet ist dafür da, Dampf abzulassen, das geht mit Maske gut“, sagt Becherer und betont, dass dies nur im positiven Sinne gilt. Er weiß um die Probleme mit Alkohol und Aggressionen, die manche Zünfte beschäftigen. In Elzach sei zum Glück noch nie etwas passiert.
„Es ist eine andere Zeitrechnung“, sagt Becherer. Man tauche in eine andere Welt ein, die normale mit ihren zuletzt wenig erfreulichen Nachrichten aus Wirtschaft und Politik stehe für die Elzacher über die drei hohen Tage still. In der Vorbereitung der närrischen Tage hat die Wirklichkeit sie allerdings ziemlich beschäftigt. Die ohnehin schon hohen Sicherheitsauflagen für den Umzug wurden nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt nochmals erhöht. Jetzt müssen nicht nur die Haupt-, sondern alle Zugangsstraßen abgesperrt werden. Das koste Geld, Personal, Material und drücke die Stimmung, sagt Becherer – aber nur im Vorfeld, bis es am Fasnetsundig um 12 Uhr heißt: „Wir bringen Euch die frohe Kunde: Frei ist der Narr zu dieser Stunde, tralla-ho!“
Irrationale Elemente in der Wissenschaft
„Stimmung und Wirtschaft – das ist ein altes Thema“, sagt Tim Krieger, der den Lehrstuhl für Ordnungs- und Wettbewerbspolitik an der Universität Freiburg innehat. Er verweist auf John Maynard Keynes. Der bekannte britische Ökonom fasste die für ihn irrationalen Elemente im Wirtschaftsgeschehen wie Emotionen, Instinkte oder Herdenverhalten als „Animal Spirits“ zusammen. Wohlwissend, dass der „Homo oeconomicus“, der rein rational handelnde und stets seinen Nutzen maximierende Wirtschaftsmensch zwar praktisch für Modelle und Rechnungen ist, in der Realität aber so nicht existiert. Deshalb hat man laut Krieger früh angefangen, Stimmungen zu messen.
Bemerkenswert dabei ist, dass die persönliche oft sehr von der allgemeinen Stimmung abweicht. Auch jetzt noch. Die Forschungsgruppe Wahlen fragt zweimal jährlich, wie die Menschen ihre eigene und die gesamte Wirtschaftslage bewerten. In der Ende Januar veröffentlichten Umfrage sagten nur knapp 10 Prozent der Befragten, dass ihre eigene Situation schlecht sei, fast 60 Prozent fanden sie gut, der Rest teils-teils. Doch gleichzeitig stuften mehr als 40 Prozent die gesamte Wirtschaftslage in Deutschland als schlecht ein, keine 10 Prozent als gut. Auch der Glücksatlas zeigt diese Diskrepanz: Die aktuelle Ausgabe, die im November 2024 veröffentlicht wurde, konstatiert einen deutlichen Anstieg der Lebenszufriedenheit der Deutschen.

„Wir Ökonomen sind traditionell positiv gestimmt. Denn eigentlich geht alles immer aufwärts und entwickelt sich in die richtige Richtung.“ – Tim Krieger, Wirtschaftsprofessor
Warum fallen die Einschätzungen so weit auseinander? Ein Grund, dass die persönliche Situation gut bewertet wird, ist laut Tim Krieger die hohe Beschäftigungszahl. Dagegen seien die Gründe für die schlechte Wahrnehmung der Gesamtlage und die miesen Erwartungen weniger eindeutig. Als eine Erklärung zitiert Krieger den Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Shiller, einen Mitbegründer der Verhaltensökonomik, der zu Herdenverhalten auf den Finanzmärkten geforscht hat. Er beobachtete dort, dass Menschen einander folgen, wie die Lemminge. Dieses Phänomen lässt sich laut Krieger auf die Stimmung übertragen: Wir finden sie schlecht, weil andere sie auch schlecht finden.
Einen anderen Grund für die derzeit miese Lage sieht Krieger in der Stabilität oder besser: Instabilität. „Menschen mögen keine Unsicherheiten und Veränderungen, wir lieben den Status quo“, sagt Krieger. Investitionsentscheidungen hängen vom Planungshorizont ab – der ist umso länger, je sicherer die Lage ist. Das Vertrauen diesbezüglich hat zuletzt stark abgenommen – sei es wegen des Dauerstreits in der Ampelkoalition, wegen einstürzender Brücken, des maroden Schienennetzes, überlasteter Sozialsysteme, Kriegen oder Flüchtlingen. „Die Menge an Problemen hat sich hochgeschaukelt“, so Krieger. Deshalb sorgten sich die Menschen um die Zukunft. Der Wissenschaftler spricht von „Verlustaversion“ und ihrer Asymmetrie, dass wir also Verluste höher gewichten als Gewinne. An der Vielzahl der Probleme werde auch eine neue Bundesregierung nur bedingt etwas ändern, aber sie könne für ein besseres Sicherheitsgefühl sorgen. Einen raschen Aufschwung nach der Wahl erwartet der Wirtschaftsprofessor nicht. Langfristig ist er aber optimistisch: „Wir Ökonomen sind traditionell positiv gestimmt. Denn eigentlich geht alles immer aufwärts und entwickelt sich in die richtige Richtung.“