Der Traum von einer Oberrhein-Universität steht mittelfristig vor seiner Erfüllung. Ein bisschen mehr Leben dürfte dem Projekt trotzdem noch eingehaucht werden.
Von Rudi Raschke
Es klingt mehr als naheliegend, im Wortsinne: ein universitärer Zusammenschluss von fünf anspruchsvollen Bildungseinrichtungen, die an einem Korridor liegen, der mit gerade einmal 90 Minuten Zugfahrt verbunden ist. Insgesamt studieren hier bereits 120.000 Menschen – warum sollten sie nicht einen gehobenen Abschluss erwerben, der in allen drei Nationen des Dreiländerecks derselbe ist? Zumal Europa in diesen Tagen in unserer Region noch am funktionsfähigsten erscheint. Die Vorteile für einen engeren Zusammenschluss der Universitäten Basel, Freiburg, Haute-Alsace (Mulhouse) und Strasbourg mit dem Karlsruher Institut für Technologie sind vielfältig: Gerade in Nischen-Fächern könnte sich Forschung gemeinsam behaupten und Infrastrukturen für Spezielles oder Abseitiges verbessern.
Am gegenüber liegenden Ende der Skala könnte ein hochtouriger Exzellenz-Betrieb den Anschluss an namhafte internationale Einrichtungen im Auge behalten. Und nicht zuletzt könnte hier ein Anknüpfen an alte Bildungsideale im europäischen Geist eine kluge Erneuerung finden. Dies übrigens nicht in Räumen einer einzuweihenden „neuen“ Universität an einem der Standorte, die von den fünfen getragen wird, sondern als Verbund, bei dem in den bestehenden Häusern gelernt und geforscht wird. Der Traum eines Bildungsideals, bei dem Studenten kein Auslandssemester brauchen, um selbstverständlich im Ausland Vorlesungen zu besuchen – das klingt schlüssig, aber die Verwirklichung ist steinig.
Schnell ist man in der Welt der Governance-Strukturen, aus denen sich Interreg-Projekte entwickeln, nachdem man, Vorsicht Pressetext, „eine gemeinsame Rechtspersönlichkeit in Form eines Europäischen Verbundes für territoriale Zusammenarbeit“ (EVTZ) gegründet hat. Das war wichtig für erste Förderraten der EU in Höhe von 2 Millionen Euro, aber es klingt halt eher nicht nach Stanford oder Cambridge. Der Freiburger Rektor Prof. Hans-Jochen Schiewer, der diesen Prozess als Präsident von „Eucor – the European Campus“ unerschrocken anführt, sieht sich dann auch auf einer Wegstrecke, bei der gerade einmal „dreieinhalb von zehn Metern“ zurückgelegt sind. Was sind die fehlenden sechseinhalb? Schiewer sagt es bräuchte überhaupt einmal ein europäisches Universitätsgesetz, das der gemeinsamen Rechtsperson hilft.
Es gibt schwierige Zuständigkeiten, von der französischen Seite kann sich der große Unterstützer Emmanuel Macron zwar ausgiebig mit Angela Merkel zum Thema unterhalten (es steht sogar im Koalitionsvertrag), aber eigentlicher Ansprechpartner ist im föderalen Deutschland nun mal Baden-Württemberg. Das sind die institutionellen Hürden auf dem Weg zur Drei-Länder-Uni, es gibt auch noch ganz alltagspraktische dazwischen: Wie kann ein Semesterticket angeboten werden, mit dem der Lernende in einen Zug von Freiburg nach Strasbourg steigen kann, ohne sich durch Spesenerstattungen im Nachhinein zu quälen? Wie können die jeweiligen Fakultäten in den Austausch miteinander kommen?
Und wie bekommt man schließlich eine vorzeigbare Anzahl von Studenten dazu, sich auch einmal im Nachbarland für eine Vorlesung und einen Schein zu begeistern, wenn sie wegen Zeitmangels und Überangebot schon kaum die Tellerrandgrenze am heimischen Standort überschauen? Hans-Jochen Schiewer will trotzdem mit dem Projekt der europäischen Universitäten „in zehn Jahren so nachgefragt sein wie Oxford, Cambridge, Yale und Harvard“. Er weiß, dass eine solche „Kooperation als enormer Gewinn und Schub in der globalen Konkurrenz“ der Forschung zu verzeichnen wäre. Für Schiewer, der sich in seiner noch zwei Jahre währenden zweiten Amtszeit vor allem gegenüber der Uni-Klinik als nicht allzu durchsetzungswillig in Sachen Doping- und Titel-Betrug präsentierte, ist es spürbar ein zentrales Projekt, das er mit Herzblut aufbaut.
Der Uni-Rektor, der als Professor für mittelalterliche Sprache und Literatur lockere Business-Floskeln wie „roundabout“ in Kosten-Schätzungen einflechten kann, wirkt inzwischen weit genug weg von seinem angestammten Fach, um sich begeistert von der Welt der Exzellenz-Anträge oder naturwissenschaftlichen Mitochondrien-Forschung zu zeigen. Beim European Campus Eucor könnte diese Stärke auch eine Schwäche sein. Denn wenn das Projekt wirklich zu großen internationalen Wissens-Standorten aufschließen soll, wäre es fern der Welt institutioneller Kürzel und Bildungs-Paragrafen auch schön, wenn es auch an ein Lebensgefühl und die Kultur in der Dreiländerregion rückgebunden wäre.
Jenseits behördlicher Verflechtungen von Programmen wie Frias (Freiburg) und Usias (Strasbourg) kann nicht oft genug an das Gemeinsame, Grenzüberschreitende von Bildung erinnert werden, auch im Geist eines Erasmus, der in allen drei Ländern, unter anderem auch in Basel und Freiburg, gewirkt hat. Ein „European Way of Life“, wie ihn der 2014 verstorbene Freiburger Soziologie-Professor Hermann Schwengel einst in besseren Europa-Zeiten skizziert hat, fehlt dem Projekt derzeit noch ein wenig.