Michael Wehner von der Landeszentrale für politische Bildung (LpB) über Kretschmann und die Krise, Parteien und Parlamente und über tugendhaftes Handeln in Zeiten von Corona.
INTERVIEW: CHRISTINE WEIS
Am 14. März wird in Baden-Württemberg ein neuer Landtag gewählt. 2016 waren die Grünen mit 30,3 Prozent stärkste Partei. Die CDU kam auf 27 Prozent der Wählerstimmen. Bildungsministerin Susanne Eisenmann tritt für die CDU gegen den grünen Ministerpräsidenten Kretschmann an. Hat sie eine Chance gegen den Amtsinhaber? Und spielt die SPD bei der Wahl (noch) eine Rolle?
Kretschmann ist eine Ausnahmeerscheinung. Er ist über alle Wählerschichten hinaus populär, hat hohe Sympathie- und Kompetenzwerte, regiert das Land seit fast zehn Jahren und genießt selbst bei 90 Prozent der CDU-Anhänger Zustimmung. Für Susanne Eisenmann wird es schwer werden, gegen ihn zu punkten. Die Union profitiert in Baden-Württemberg zwar vom Krisenmanagement der Merkel-Regierung. Allerdings verantwortet Eisenmann als Bildungsministerin gerade das umstrittenste Ressort. Beim Thema Bildung wissen alle besser, wie es geht – egal ob Eltern, Lehrer, Schüler oder Medien. Es kommt noch ein zweiter Punkt hinzu: Landespolitik ist im Bewusstsein der Bevölkerung wenig verankert. Für die Mehrheit dominiert der Ministerpräsident die Politik. Viele kennen nicht mal die Namen der einzelnen Minister. Und Kretschmann ist es, der am Krisentisch der Kanzlerin sitzt. Im Showdown der Spitzenkandidaten wird der Grüne mit Amtsbonus eindeutig die Nase vorn haben. Das spiegelt auch der aktuelle Umfrage-Trend von Infratest dimap, bei dem die Grünen auf 35 Prozent und die CDU 30 Prozent kommen.
Die SPD liegt in der Umfrage nur bei 10 Prozent, auf Bundesebene sind es 16 Prozent. Die niedrigen Werte sind schwer zu erklären, denn die Regierungspolitik trägt eine sozialdemokratische Handschrift. Im Stuttgarter Landtag verrauschen die Rufe der SPD von der Oppositionsbank schnell. Etwa der Angriff vom SPD-Spitzenkandidat Andreas Stoch auf den Landwirtschaftsminister Peter Hauck aufgrund der Schlachtskandale sorgte nur kurzfristig für Aufmerksamkeit. Corona dominiert die Schlagzeilen.
Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf die Bundes- und Landtagswahlen aus? Und welche Partei profitiert von der Krise bezogen auf Land und Bund.
Corona wird das große Thema bei der Landtags- und Bundestagswahl sein, jeweils in Verbindung mit Personen und Unterthemen. Das ist keine Besonderheit. 2016 war es die Geflüchteten-Krise, 2011 die Atomkatastrophe von Fukushima, die den Wahlkampf bestimmten. In dieser Krise dominieren die Regierenden, daher profitiert die CDU auf Bundesebene und die Grünen mit Ministerpräsident Kretschmann in Baden-Württemberg. Kretschmann war in den letzten Konferenzen der Ministerpräsidenten sehr besonnen. Er vermittelt das Bild des starken Landesvaters, der die Lage im Griff hat. Markus Söder aus Bayern macht das auf seine ihm eigene Art ebenfalls vor.
Die guten Werte für die Grünen in Baden-Württemberg sind mit der hohen Akzeptanz von Kretschmann und seinem realpolitischen Kurs zu erklären. Bundesweit liegen die Grünen im Moment bei 20 Prozent. Wenn es zu einer Rezession käme, dann zählen mehr die Brot- Butterthemen wie Arbeitslosigkeit und Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Dann überzeugen die grünen Nachhaltigkeitsthemen weniger Wähler. Eine schwarz-grüne Koalition ist auch davon abhängig, wer den CDU-Vorsitz übernimmt. Mit einem wirtschaftsliberalen Friedrich Merz gibt es weniger Schnittmengen für die Grünen als etwa mit dem ehemaligen Umweltminister Norbert Röttgen.
Heribert Prantl, Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, beklagt in einem SWR-Interview, dass bei den Corona-Regelungen der Regierungen, die Parlamente zu wenig involviert waren. Es dort keine ausreichenden Diskussionen gab und die Demokratie darunter gelitten habe. Teilen Sie diese Meinung?
Die Rolle der Parlamente ist gerade schwierig, weil Entscheidungen, die eigentlich ihnen obliegen, auf dem Verordnungsweg gefällt werden. Um die Parlamente in der Pandemie zu stärken, wurde gerade in Baden-Württemberg der Zustimmungsvorbehalt bei Änderungen des Infektionsschutzgesetzes von acht auf vier Wochen heruntergesetzt. Dass die Regierungen im Hauruck-Verfahren massiv in Grund- und Freiheitsrechte eingreifen, ist dem schnellen Handlungsdruck geschuldet. Das ist ein Ausnahmemodus. Normalerweise wird über Gesetze lange verhandelt, gestritten, es gibt mehrere Lesungen. Dennoch: die Regierungen sind demokratisch legitimiert und von der Parlamentsmehrheit abhängig. Das Budgetrecht der Parlamente ist im Übrigen nach wie vor unangetastet ist. Die Parlamente entscheiden, wie und wer die Krise finanziert.
Die Corona-Krise hat auch zu einer Spaltung der Gesellschaft geführt. Initiativen wie „Querdenker“ hetzen gegen Politiker, Wissenschaftler und Medienvertreter auf, behaupten, es gäbe keine Pandemie oder argumentieren mit den Grundrechten gegen eine Maskenpflicht. Für wie gefährlich halten Sie diese Strömungen und wie kann man ihnen entgegentreten?
Die Corona-Krise kann nicht vom einem autoritären Superstaat gelöst werden, der Vorschriften und Einschränkungen macht. Sie kann nur von selbstdisziplinierten Bürgerinnen und Bürgern gelöst werden, die Verständnis für die Notwendigkeit haben, dass sie jetzt nicht alle Freiheitsrechte ausleben sollten, um andere vor dem Verlust ihres Menschenlebens zu schützen. Wenn diese Einsicht nicht da ist, wird man gnadenlos scheitern, weil ein Staat nicht alle Repressionsinstrumente einsetzen soll, um diesen zeitweiligen Verzicht zu verlangen. Es ist daher die oberste Aufgabe von politischer Bildung, den Bürgern deutlich zu machen: Es kommt auf jeden einzelnen an. In einer offenen Gesellschaft und einer freiheitlichen Demokratie wird man nie alle davon überzeugen können. Es sind aber Minderheiten, die sich gegen die Maßnahmen wehren. Mit ihnen muss man diskutieren und an Vernunft und Einsicht appellieren. Und ja, bei radikalen Gruppen kann der Staat sein Gewaltmonopol anwenden und etwa Demonstrationen auflösen oder verbieten. Es zeigt sich hier das klassische Allmende-Problem, in dem Gemeingüter den einzelnen zum Konsum auf Kosten aller verleiten. Die persönlichen Einschränkungen sind aus meiner Sicht der Preis, den wir im Moment alle zu zahlen haben, um aus dieser Krise wieder rauszukommen. Und je länger die Krise dauert, so schwieriger ist es die Solidarität der Mehrheit einzufordern und die Zustimmung für die Maßnahmen zu erhalten. Wir brauchen Geduld, Disziplin und vermutlich noch einen langen Atem.
Die Pandemie beeinträchtigt das Wirtschaftsgeschehen und wird Arbeitsplätze kosten. Das könnte auch politisch unschöne Folgen haben und etwa der AfD in die Hände spielen. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?
Im Moment sehe ich kein Anzeichen für ein Erstarken der AfD. Die Partei zieht keine Vorteile aus der Krise und auch die Bündnisse mit denjenigen, die die Corona-Maßnahmen ablehnen, führen nicht zu Stimmenzuwächsen. In Baden-Württemberg hat die AfD im Landtag politisch nichts geleistet. Von den 23 Abgeordneten, die 2016 in den Landtag einzogen, sind aktuell noch 15 vertreten. Trotzdem wird die AfD vermutlich im nächsten Landtag vertreten sein. Im Moment liegen sie in Umfragen bei 11 Prozent. Wenn die Unzufriedenheit in der Bevölkerung steigt, es viele Arbeitslose gibt oder die Flüchtlingszahlen steigen, dann hat die Partei allerdings wieder Potential.
Werfen wir noch einen Blick ins Elztal, wo Sie leben. Während der US-Präsidentschaftswahlen im Herbst hingen Biden- und Trump-Plakate an Ihrem Fenster in Oberwinden. Einige Elztäler kennen das schon aus früheren US-Wahlen. Was bezwecken Sie damit?
Ich platziere immer mal wieder Fahnen oder Schilder am Haus, um politische Diskussionen vor Ort anzuregen. Und es funktioniert, die Leute bleiben stehen, unterhalten sich darüber oder klingeln auch mal und fragen nach. Zur letzten Fußball-Weltmeisterschaft habe ich etwa die Länderflaggen von Ghana und Saudi-Arabien aufgehängt. In der S-Bahn hörte ich daraufhin ein Gespräch von Mitfahrenden, die sich über die Flaggen wunderten und dann recherchierten, um welche Länder es sich handelt. Das hat mich gefreut, denn so wirkt politische Bildung. Man muss Anreize schaffen, damit sich die Leute Fakten aneignen und eine Meinung bilden.
Im Laufe der Pandemie nimmt das Interesse der Menschen an Politik zu. Ich nehme auch ein verändertes Informationsverhalten der Menschen wahr. Es wird über den Tellerrand geschaut und nach Erklärungen verlangt. Seit einigen Jahren steigen auch die Wahlbeteiligungen bei allen Landtagswahlen und die Nutzerzahlen des Wahl-O-Mats. Bei der letzten Landtagswahl wurde er von 1,8 Millionen genutzt. Er ist das „Killertool“ der politischen Bildung, mit dem sich die unterschiedlichen Meinungen der Parteien vergleichen lassen. Der Wahl-O-Mat zur Landtagswahl wird am 10. Februar unter wahlomat.de freigeschaltet.
Michael Wehner leitet seit 1991 leitet die Außenstelle Freiburg der LpB und ist seit 2018 Honorarprofessor der Uni Freiburg.