Wenn Profikicker nach ihrer aktiven Laufbahn nicht im Fußball arbeiten, müssen sie oft ganz von vorn beginnen. Wie der Leistungssport auf einen normalen Beruf vorbereiten kann und wie leidenschaftlich sie neue Karriereziele verfolgen, erzählen diese ehemaligen SC-Freiburg-Profis.
VON JULIA DONÁTH-KNEER
Andreas Zeyer (55) Maschinenbauingenieur
„Intellektuellentruppe“, „Studentenmannschaft“ – ein Image, das dem SC Freiburg in den späten Neunzigerjahren anhaftete und vor allem an Oberstudienrat Volker Finke lag. Von der vermeintlichen Akademikertruppe hat aber nur ein Spieler während seiner aktiven Laufbahn einen Uniabschluss gemacht: Andi Zeyer. Er kickte von 1989 bis 2004 beim SC, mit einer Unterbrechung von zwei Jahren beim HSV, Karlsruher SC und VFL Bochum. Bis ihn Christian Günther in der Saison 21/22 einholte, hielt er den Erstligarekord von 236 Einsätzen für den SC (402 waren es ligaübergreifend).
Während seiner Fußballerkarriere studierte Zeyer an der Hochschule Offenburg Maschinenbau, schloss 1995 mit Diplom ab und legte sogar ein zweites Studium drauf: Wirtschaftsingenieurswesen in der Nebenstelle in Gengenbach. „Ich durfte fürs Studium morgens beim Training fehlen“, erzählt Zeyer am Telefon. „Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen, aber das ging damals. Volker Finke und Achim Stocker haben es möglich gemacht.“ Einmal durfte er gar früher aus dem Trainingslager in Florida abreisen, weil eine Prüfung anstand. Leistungsmäßig habe er nie einen Unterschied gemerkt. „Ich glaube, ich habe sogar besser gespielt, als ich noch studiert habe. Ich war konzentrierter, stets bei der Sache“, resümiert Zeyer. „Im Leistungssport kann man sich nicht ausschließlich auf sein Talent verlassen, sonst kommt man nicht so weit. Wer sein gesamtes Potenzial abrufen will, muss auch alles geben.“
2004 war Schluss mit Fußball und der diplomierte Maschinenbauingenieur stieg in den elterlichen Betrieb ein: Er übernahm die Geschäftsführung des Stahl- und Landmaschinenbauunternehmen Josef Zeyer Stahlbau Agrarsysteme in Neresheim (Ostalbkreis) mit 35 Mitarbeitenden. Eine riesige Umstellung. „Das war nicht einfach für mich, ich war sofort in voller Verantwortung, weil mein Vater erkrankt war.“ Angebote schreiben, ein Team führen, unternehmerische Entscheidungen treffen – all das war Neuland, die Orientierung fehlte. „Aber ich habe das durchgezogen.“ Da half die Erfahrung aus dem jahrelangen Leistungssport: „Man lernt, schwierige Situationen zu verkraften und wie man mit Rückschlägen umgehen kann. Im Fußball ist es so: Eine Niederlage kann dich beschäftigen, aber sie darf nicht verhindern, dass du dich mit vollem Elan aufs nächste Spiel vorbereitest. Durchkämpfen, auch wenn es schwierig ist – das entspricht meiner Persönlichkeit als Spieler und als Unternehmer.“
Stefan Müller (49) Tierarzt
Zwölf Jahre spielte Stefan Müller für den SC Freiburg. Es war die große Bühne – UEFA-Cup, mehrere Aufstiege in die erste Bundesliga, U21-Nationalmannschaft – und doch für ihn immer eine geschenkte Karriere: Er selbst habe nie damit gerechnet, Fußball zum Beruf zu machen, erzählt der gebürtige Schopfheimer. Daher habe er bereits in der Schule überlegt, auf welchem Weg er seinen eigentlichen Kindheitstraum wahr machen kann: Tierarzt zu werden. „Schon als kleiner Junge habe ich meine Stofftiere verarztet“, berichtet der heute 49-Jährige. Dann kam alles anders: Müller wurde doch Profi, lief insgesamt 203-mal für den SC auf, davon 151 in der ersten Liga. Seine Idee vom Studium ließ ihn aber nie ganz los. Bereits im letzten Jahr seiner aktiven Laufbahn absolvierte Müller ein Praktikum bei einem Tierarzt in Kirchzarten, 2005 verabschiedete er sich endgültig vom Fußballzirkus, bewarb sich fürs Tiermedizinstudium in München und wurde genommen.
Da hatte er bereits eine ganze Karriere hinter sich. „Ich war mit meinen 31 Jahren dennoch nicht der Älteste“, sagt er. Das Tiermedizinstudium ist kein Spaziergang, geholfen hat ihm die Erfahrung aus dem Sport: „Im Leistungssport lernst du Disziplin, weil es gar nicht anders geht. Du kannst nicht einfach die Nächte durchfeiern, weil du am nächsten Morgen aufstehen und trainieren musst. Dranbleiben, Zähne zusammenbeißen, konsequent sein, das hat mir auch im Studium geholfen.“ Nun praktiziert der Ex-SC-Profi in der Wiehre und hat eine mobile Tierarztpraxis aufgebaut. Erkannt wird er manchmal, auch wenn seine Profizeit lange her ist. Ab und zu kickt Müller noch, mit einer Hobbytruppe und in der Traditionsmannschaft.
Martin Spanring (53) Eventmanager
TSV 1860 München, Schalke 04, Fortuna Düsseldorf, SC Freiburg, VFB Stuttgart – insgesamt hat Martin Spanring in den Neunzigerjahren 210 Bundesligaspiele bestritten, die meisten für den SC. Heute trifft der 53-Jährige die Fußballgrößen nicht mehr als Gegner, sondern als Geschäftsmann im Europa-Park. Seit zwanzig Jahren arbeitet der ehemalige SC-Profi, der seine Karriere im Alter von 31 Jahren beendet hat, in Rust. Wir treffen uns auf ein alkoholfreies Radler in der Arena of Football im Europa-Park. Er erzählt, wie ihn Inhaber Roland Mack, den er seit vielen Jahren privat kennt, angeworben hat. „Er sagte immer: ‘So einen Paradiesvogel wie dich muss man sich leisten.’ So bin ich im Europa-Park gelandet.“
Angefangen hat Spanring, ursprünglich gelernter Maschinenbauer, im klassischen Marketing, kümmerte sich zum Beispiel um die Busunternehmen, die in den Park reisten. Nach und nach kamen weitere Aufgaben hinzu, heute ist er „Beauftragter der Geschäftsführung für Sport, VIPs und Events“. Gerade ist er unter anderem dabei, ein Fußballcamp des FC Bayern München zu betreuen. „Ich kann meine Stärken, mein Fußballwissen, meine Kontakte, die ich über viele Jahre im Profisport gesammelt habe, in den Park einbringen“, sagt Spanring. Kooperationen mit den großen Bundesligavereinen gehören ebenso zu seinen To-dos wie die Entwicklung von Sportevents, die mit Fußball nichts zu tun haben. Das berühmte Golfturnier „Eagles Charity Cup“, das einmal im Jahr die Promis in Scharen in den Europa-Park lockt, ist eins davon. Aber auch die Miss-Germany-Wahl und Fußballferiencamps für Kinder und Jugendliche.
Jögi Löw, Franck Ribéry, Franz Beckenbauer, Eusébio – Martin Spanring holte sie alle in den Park, weil er jeden kennt. „Ich bin immer noch im Fußball, aber nicht mehr aktiv“, sagt er. Als Trainer habe er sich aber nie gesehen. „Ich wollte nicht mehr auf dem Platz stehen, ich will mich weiterentwickeln, das war im Fußball nicht möglich.“ Seine Schuhe hat er komplett an den Nagel gehängt, er kickt gar nicht mehr.
Dennoch hat auch ihn der jahrelange Sport geprägt. „Zehn Jahre Leistungssport sind wie 25 Jahre im Management“, sagt Spanring. „Im Profigeschäft sind viele Dinge selbstverständlich, die dich auch in der Arbeitswelt weit bringen: Disziplin, Pünktlichkeit, Ehrgeiz, Zuverlässigkeit, ein starker Willen. Wer erfolgreich sein will, muss bereit sein, alles zu geben – das gilt für den Profisport ebenso wie für eine Karriere im Management.“ Immer etwas mehr tun als andere, das hat Spanring, der vor seiner Fußballerkarriere als Stipendiat an der Musikhochschule München auf Topniveau Trompete spielte, sein ganzes Leben lang getragen.
Oliver Sorg (33) Schreiner
Oliver Sorg lebt seine Leidenschaft: Der Ex-Fußballprofi, der bis 2015 beim SC Freiburg unter Vertrag stand, bevor er erst zu Hannover 96 und dann zum 1. FC Nürnberg wechselte, hat vom Ball zu einem härteren Partner gewechselt. Unter dem Namen „Ollis Holzerei“ zeigt der 32-Jährige beeindruckende Holzarbeiten auf Instagram.
Handwerken wurde ihm in die Wiege gelegt. „Mein Vater ist Klempnermeister und lief meist mit einem Werkzeuggürtel herum. So einen wollte ich auch haben“, erzählt der passionierte Schreiner im Interview mit dem Onlinesportmagazin „Spox“. Angefangen hat er bereits während seiner aktiven Karriere: „Als meine Tochter 2018 drei Jahre alt war, haben wir damals in Hannover ein Bett für sie gesucht. Ich habe aber nichts Passendes gefunden. Daher habe ich mich selbst versucht und ein Bett mit Himmel und Gitter gebaut, in dem am Ende sogar auch Platz für die Eltern war. Und dann kam mein Nachbar Martin Harnik (zu jener Zeit ebenfalls Profi bei Hannover 96, Anm. d. Red.) vorbei, der dasselbe Bett für seine Tochter haben wollte. Auch Samuel Radlinger (Torhüter Hannover 96, Anm. der Red.) wohnte bei mir ums Eck. Mit ihm zusammen habe ich ein Piratenbett gebaut. Sobald meine erste Kinderküche fertig war, wollte das auch mein ganzer Freundeskreis haben. So hat sich das ergeben und herumgesprochen. Ich hatte dann ständig ein Projekt neben meiner Karriere.“
Das Werkeln mit Holz entspannt ihn, stundenlang kann er durch Baumärkte streunen, in der Werkstatt arbeiten, an Plänen tüfteln – ein guter Ausgleich zum Hochleistungssport. Ein Onlineshop und eine Homepage seien in Planung, erklärt Sorg. Bis dahin laufe das meiste über Instagram, die Nachfrage ist gigantisch. „Ich kann gar nicht alles annehmen, weil ich die Leute nicht mit einer monatelangen Wartezeit vertrösten möchte“, sagt der 33-Jährige, der seine Profikarriere 2021 beendet hat. Seine handgemachten Holzarbeiten präsentiert Oliver Sorg auch auf Märkten, zum Beispiel in seiner Heimatstadt Engen – am liebsten bleibt er dabei unerkannt: „Das ist mir lieber, denn dann setzen sich die Leute ausschließlich mit meinen Arbeiten auseinander.“
Neben dem Werkeln arbeitet Sorg nach einem Jahr ohne Verein mittlerweile als Spielertrainer beim FC Radolfzell aus der Verbandsliga Südbaden. Es war die richtige Entscheidung, sagt er: „Der Verein leistet seit Jahren eine tolle Jugendarbeit, das hat mich sehr angesprochen. Dazu gibt es eine Kooperation mit meinem langjährigen Club SC Freiburg. Da schließt sich der Kreis für mich perfekt. Ich verliebe mich gerade aus einer anderen Position heraus neu in den Fußball, meine erkalteten Emotionen werden wieder entfacht.“