Sie wird „Green City“ genannt und als Fahrradstadt vermarktet. Mit Dietenbach soll bald der erste klimaneutrale Stadtteil entstehen. Das große Ziel: Klimaneutralität für ganz Freiburg in 29 Jahren. Wie gut steht die Breisgau-Großstadt aktuell da? Ein Einordnungsversuch.
VON ANNA-LENA GRÖNER
Aus der politischen Warte lässt sich die Frage „Wie grün ist Freiburg?“ einfach beantworten: ziemlich. 42 Prozent wählten bei der Landtagswahl im März Grün. In jedem Stadtteil hatten die Grünen die Nase vorn.
Auch auf die städtischen Grünflächen bezogen, lässt sich die Frage nach dem „Grün“ der Stadt mit eindeutigen Zahlen belegen: es sind 272 Hektar (etwa 381 Fußballfelder). Pro Einwohner sind das 15,7 Quadratmeter Grünfläche. Damit liegt Freiburg im baden-württembergischen Vergleich auf Platz 5. (Platz 1: Karlsruhe mit einer Grünfläche von 27,2 m2 pro Einwohner.
Die Bevölkerung der „Green City“ wächst laut jüngster Prognose des Bundesinstituts für Bau-, Stadt und Raumforschung allerdings bis 2040 um 10,5 Prozent. Ob Freiburg bei diesem Wachstum und steigendem Wohnungsbedarf künftig mehr Grünflächen schaffen kann, das hängt wohl auch von der Art und Weise ab, wie in Zukunft gebaut wird.
Die Frage „wie grün ist Freiburg?“ wird aber schwieriger zu beantworten, wenn man sie auf den städtischen Klimaschutz bezieht. Klare Ziele sind gesetzt: bis 2030 will Freiburg 60 Prozent weniger Emissionen als 1992 verursachen (damals wurden die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen verabschiedet). 2050 soll die ganze Stadt klimaneutral sein.
Den Fahrplan für dieses ambitionierte Ziel liefert unter anderem das Freiburger Klimaschutzkonzept mit 90 Maßnahmen, gegliedert nach sechs Handlungsfeldern (nachhaltige Gebäude, Verwaltung und Stadtplanung, CO2-freie Mobilität, Erneuerbare Energien, Wärmeversorgung, Gewerbe und Industrie, Klimafreundliche Lebensstile) und mit neun sogenannten Leuchtturmprojekten, wie das Klimaschutzquartier Waldsee oder die Erweiterung des „Green Industry Park“ Nord auf andere Gewerbegebiete.
Weniger Tonnen pro Kopf
Nur: was bedeutet überhaupt klimaneutral? „Das ist in der Tat nicht sauber definiert“, sagt Klaus von Zahn, Leiter des Umweltschutzamt in Freiburg. „Man findet auch innerhalb von Kommunen sehr viele Definitionen und Wege. Eine der strengeren Definitionen besagt, dass man pro Kopf noch eine Tonne Emission pro Jahr hat.“ Bei diesen Werten werden der Energieverbrauch und die Mobilität einbezogen.
Lebensstil und Konsum werden nicht berücksichtigt, hier genaue Zahlen zu sammeln ist schier unmöglich. Aktuell stößt jeder Freiburger im Jahr rund 7,4 Tonnen Emissionen aus. Es bleiben 29 Jahre, um das ein-Tonnen-Ziel zu erreichen. Klingt machbar? In den vergangenen 29 Jahren wurden jedenfalls nur 4,4 Tonnen pro Kopf gut gemacht. Es muss besser werden und schneller gehen.
„Wir sind auf einem guten Weg. Aber die Emissionsreduktion in den letzten Jahren ist eindeutig zu wenig. Die jährlichen Raten sind momentan besorgniserregend“, sagt von Zahn. Die „Fridays for Future“ Bewegung hätte deutlich gemacht, dass die Ziele des Pariser Klimaabkommens zwar gut, jedoch längst nicht ambitioniert genug seien, um tatsächlich etwas gegen den Klimawandel auszurichten.
Ein anderes Sorgenkind auf dem Weg zur Freiburger Klimaneutralität ist der Sektor Mobilität. Über 20 Prozent der Kohlendioxidemissionen der Stadt stammen aus dem Verkehrssektor. Hier habe es innerhalb der Stadtgrenzen seit 1992 so gut wie keine CO2-Reduktionen gegeben, sagt von Zahn. Trotzdem gibt es viele Vorzeigeprojekte, die den Willen einer städtischen Mobilitätswende unterstreichen: Elektrobusse für Stadt und Land, Ausbaumaßnahmen auf den Fahrradstrecken FR2 und FR3 oder die Erweiterung des Stadtbahnnetzes (als nächstes der Ausbau Littenweiler). „Aber die Durchgangs- und die überregionalen Verkehre machen uns viel kaputt. Hier bräuchte es auf Bundesebene Regelungen, die einer echten Energie- und Mobilitätswende entgegenkommen“, sagt Klaus von Zahn.
Grüner bauen geht
Beim Engergiesparen steht Freiburg wesentlich besser da: In den vergangenen 29 Jahren reduzierte sich der Emissionsausstoß hier um 41,2 Prozent. Um weiter voranzukommen, will man jährlich – deutschlandweit, nicht nur in Freiburg – etwa zwei Prozent der bestehenden Gebäude energetisch sanieren. In 50 Jahren wär es geschafft (eventuell muss man dann wieder von vorne anfangen, aber das steht in einem anderen Kapitel). „Es gibt keine Stadt in Deutschland, die zwei Prozent erfüllt. Der Durchschnitt liegt etwa bei 0,8 Prozent“, sagt von Zahn. „Freiburg liegt bei 1,6 Prozent. Das ist eine Zahl, bei der wir sagen können: wir sind doppelt so gut wie der bundesdeutsche Durchschnitt.“
Sanierung ist das eine, neu Bauen das andere: zwar werden Dächer begrünt, ganze Fassaden bepflanzt und Ausgleichsflächen besorgt, doch es könnte weit mehr gehen. Vorzeigeprojekte wie der „Green City Tower“ sind ein Anfang. Inspiration für „mehr Grün“ kann man sich am Beispiel Singapur holen. Die Stadt hatte sich bereits 1963 das Ziel gesetzt, die grünste der Welt zu werden. Bisher schaut das gut aus: seit 2008 ist es in Singapur Gesetz, dass jedes Gebäude bepflanzt werden muss, jeder Neubau mit so viel Grün, wie der Bau beansprucht hat. Die grünste Stadt Asiens ist Singapur schon. Da sehen andere höchstens grün vor Neid aus.
Es liegt sicher nicht allein in der Hand der „Green City“, die Klimaschutzziele zu erreichen, doch manchmal wären mehr Mut und nachhaltiges „Gründenken“ zu wünschen – statt drei pro forma gepflanzter Bäumchen im Neubauviertel. Mehr Green Tower statt Beton-Business-Meile und noch mehr Fahrradkomfort statt zermürbende 30er-Zonen.
Auch wenn Freiburg beim Energiesparen gut abschneidet, bleiben als drittes Sorgenkind die erneuerbaren Energien. „Da ging viel“, sagt der Leiter vom Umweltschutzamt und schickt direkt ein „aber“ hinterher: „Wir wissen aber, dass wir zum Beispiel im PV-Bereich das Siebenfache (in der Printausgabe wurde hier versehentlich vom ‘Neunfachen’ gesprochen, das möchten wir an dieser Stelle korrigieren.) leisten müssen wie bisher, um die Ziele 2030 zu erreichen. Dabei haben wir auf der Messe, am alten Stadion und der Deponie schon große Anlagen. Man fragt sich: wo sollen diese Flächen sein?“
Zum Beispiel auf Schuldächern. Dafür sieht der neue Haushaltsplan in diesem Jahr noch 500.000 Euro vor, im nächsten Jahr sollen es 1,5 Millionen Euro sein. Dass es Geld braucht, um die Maßnahmen umzusetzen und das Klimaziel zu erreichen ist logisch. Aber woher kommt‘s?
In Freiburg vor allem vom regionalen Energieversorger „badenova“. Der zahlt jährlich Konzessionsabgaben für seine Leitungen an die Stadt. Bundesweit einzigartig ist die seit 2008 vom Gemeinderat beschlossene zweckgebundene Verwendung für den Klimaschutz: inzwischen wird die Hälfte der rund 12 Millionen Euro dafür eingesetzt.
Das sagt die neue Umweltbürgermeisterin
Freiburg legt sich ins Zeug, ist ausgezeichnete Fahrradstadt, energetisches Sanierungs-Vorbild und traut sich hier und da durchaus neue Wege zu gehen. So war man beispielsweise 1990 auch die erste Stadt, die ein eigenes Umweltdezernat ins Leben gerufen hat. Umwelt- und Klimaschutz stehen weit oben auf der Agenda. Was bleibt, ist ein großes Stück Arbeit, nicht nur auf politischer Ebene, sondern für jeden Einzelnen von uns.
Ein großes Stück Arbeit hat auch Freiburgs neue Umweltbürgermeisterin Christine Buchheit vor sich, die seit dem 7. April im Amt ist. Zu ihren größten Herausforderungen zählt sie unter anderem die Klimakrise. Doch glaubt Buchheit an die Umsetzung der Freiburger Klimaziele? „Wenn wir den eingeschlagenen Weg konsequent weitergehen und wenn wir die nötige Unterstützung von Bund und Land bekommen, können wir unsere Klimaziele erreichen.“
Grün ist die Farbe der Hoffnung, und die stirbt bekanntlich zuletzt.