Der Autor und Verleger Wolfgang Abel bereist seit gut drei Jahrzehnten unsere südbadische Heimat und macht sich Gedanken über Lebensqualität auf dem Teller und darüber hinaus. Ein Gespräch mit ihm über unser Titelthema “Wie wir in Zukunft essen werden”.
INTERVIEW: RUDI RASCHKE
Unsere Titelzeile lautet „Wie werden wir in Zukunft essen?“ Wie stellen Sie sich das vor?
Wie immer sind Krisenzeiten auch Innovationszeiten. Es werden die mit klaren Konzepten überleben. Der Rest wird zum Teil verschwinden, oder noch etwas weiterwursteln und jammern.
Was heißt ein klares Konzept für Sie? Ist das nur das, was wir Gäste auf der Karte lesen, sind es die Produkte, ihre Zubereitung?
Eines meiner Lieblingsthemen ist seitjeher der solide Landgasthof, die Rettung in der Provinz. Das kann nur jemand machen, der das Gasthaus in seine Biografie integriert. Am besten vergisst man zuerst das Work-Life-Balance-Gerede. Für Trendsurfer ist ein Foodtruck bessergeeignet oder eine angesagte Bar. Einen Landgasthof muss ich mit Leib und Seele leben, das geht nicht an drei Tagen in der Woche. Jeder selbstständige Gärtner, Schlosser oder Landmaschinenmechaniker muss seinen Beruf aber auch motiviert angehen – warum sollte es bei einem Gastwirt anders sein?
Kann man es Köchen verdenken, dass sie mittags nicht mehr öffnen?
Wenn sie abends richtig gut sind, nicht. Aber das klassische und zeitintensive Format „Wirtshaus als Sozialstation“ hat natürlich mehr denn je seine Berechtigung, auch wegen der sozialen Komponente. Ein Hausarzt, der nur drei Stunden täglich praktiziert, wird auch nicht für Begeisterung sorgen. Für mich gehört zum Gastgeber sein auch Berufung, Haltung und sittliche Reife. „Hier steh’ ich, ich will das machen, ich kann nicht anders.“ Das muss jeder erst mit sich ausmachen, sonst geht es schief.
Täuscht der Eindruck, oder ist der Beruf mit immer mehr Anforderungen verbunden?
Zur Betreuungs-Komponente, zu Küche und Service scheint bis hin zur Social Media-Selbstvermarktung vieles dazugekommen zu sein. Ich kenne viele Gasthöfe, die null Social Media praktizieren und dennoch immer voll sind. Man muss nicht alle Kanäle bespielen, es reicht, wenn man drei Dinge konsequent durchzieht. Qualitätsbewusstsein, Freundlichkeit und eine Grundleidenschaft im Umgang mit Mensch und Material. Mit so einer Einstellung kann ich auf vieles andere verzichten. Wir Gäste sind nicht blöd, wir finden auch den Weg zu begabten Außenseitern. Bekömmliche Speisen und zufriedene Gäste sind optimales Social Media.
Bei Ihren Expeditionen in der Heimat hier: Ist die Qualität in der Breite im Laufe der Jahre nicht besser geworden?
Partiell ist das Niveau besser geworden, in der Breite ist es schlechter geworden. Das zeigen auch all die hilflosen Promotion-Versuche. Der Schwarzwälder „Kuckuck-Award“ und dieser ganze Prämierungs-Zirkus. Das deckt eine Spannweite von „sehr gut“ bis „Fake-Gastronomie“ ab. Solche Auszeichnungen sind für mich wertlos, weil sie keine echte Orientierung bieten.
Woran erkenne ich als Gast „Fake“?
Man kann das nicht pauschal sagen, aber wenn die Fundamente, wie oben genanntsind, in einem Gasthaus stimmen, dann ist mir manch anderes nicht so wichtig. Ich nenne es den „Meerblick-Effekt“: Wenn ich in Spanien in einer wackligen Holzbude am Strand sitze und merke, dass der mehrfach quereingestiegene Wirt mir mit großer Freude ein Glaskalten Weißwein serviert, ist das völlig in Ordnung. Am Ende braucht es viel Lebenserfahrung, um eine gastronomische Dienstleistung in all ihren Facetten zu bewerten, die enden ja nicht am Tellerand. Fake in der Gastronomie ist wie jemand, der komplett falsch angezogen ist. Den billigen Schuh zum falschen Anzugerkennt ein Herrenausstatter sofort.
Stichwort Meerblick: Das ist aberdann auch das seltene Glücksgefühl für Gast wie Wirt, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein?
Ganz genau. Speck schmeckt am besten bei Neuschnee am Kachelofen. Ein Thema, das übrigens auch gut zu den Berghütten im Hochschwarzwald und der Fluktuation dort passt. Natürlich sind das Ausnahmestandorte, die heikel zu bewirtschaften sind. Das erfordert Einsatz und Kreativität. Bei mehreren Hütten im Feldberggebiet gab es in den letzten Jahren Pächterwechsel oder Schließungen. Das sind doch Standorte mit Potenzial, die wären in den Alpen nicht lange verwaist. Warum kriegen wir das im Südschwarzwald nicht hin? Hüttenwirtin kann doch ein erfüllender Beruf sein, oder wollen alle nur noch Lachyogamachen oder was mit Coaching?
Hat das nicht auch andere Gründe? Der Feldberg schaut vielerorts nichtnach einem Ort aus, wo die Leute noch eine Qualitäts-Einkehr erwarten.
Trotzdem wirkt das an so einem Hotspot, als würde jemand am Strand von Sylt sagen: „Strandhütte lohnt sich hier nicht“. Das ist natürlich auch ein gesellschaftliches Phänomen. Es gibt Modeberufe, zu denen der Wirt offenbar nichtzählt. Es sei denn, er lässt sich einen Ziegenbartwachsen und macht auf Szenebar. Daran ist ja kein Mangel. Viele von uns werden immer freier in der täglichen Arbeit, das gilt für uns Journalisten und Autoren ohnehin.
Verlangen Sie vielleicht zu viel Demut von einem Wirt auf dem Land, wenn er uns jahrzehntelang die gleichen Klassikerservieren soll? Und möglichst wenige Gerichte modernisiert?
Wenn ich etwas gut mache, muss ich es nicht verändern oder mit Tigermilch & Co. aufmotzen. Ich fange ja auch nicht an, Gedichtbände zu schreiben. Bald jeder junge Wilde meint, im schwarzen Kittel die Reihen abschreiten zu müssen. Es ist wie beim Torjubel im Fußball: Etwas mehr Demut und weniger kamerawirksame Salti könnten der Sache nicht schaden.
Es gibt unübersehbare Strukturprobleme, die Pachten in den Innenstädten zum Beispiel, der Fachkräftemangel oder die Auswirkungen der Pandemie. Wie könnte eine vernünftige öffentliche Unterstützung als notwendige Hilfe aussehen?
Indem der Staat sich raushält. Auch aus dem inflationären Zertifizierungs-, Dokumentations- und Überwachungsdrang. Ein kompetenter Wirtschaftskontrolldienst ist völlig in Ordnung, aber dann ist auch gut. Es gibt zig Beispiele dafür, dass der Staat ein ineffizienter Unternehmer ist. Noch schlechter ist er als Gastronom, denken Sie nur an die Theater- und Museumsgastronomie im Land. Wo die öffentliche Hand Gastronomieversucht, geht es abwärts.
Was würden Sie empfehlen außer „Finger weg“?
Stadt oder Staat sollten ihre Objekte extremgünstig verpachten, natürlich müssen dabei Grundsatzfragen wie Qualität und Öffnungszeiten geregelt sein. Ansonsten braucht es guten Willen, freie Hand und Respekt für die Gastgeber. Vielen Gemeinden würde es ohne hingut anstehen, wenn sie statt noch mehr Regeln, Ordnungsdienst oder Polit-Ständen ihre schönsten Plätze gastronomisch beleben würden. Gute Gastronomiebewirkt auch soziale Kontrolle. Die verhindert No-go-Areas. Dazu brauchtes nichts Nobles, sondern eine zugängliche Gastronomie. Die größte Inklusionist doch, wenn ich mich irgendwo hinsetzen kann, ein paar Leute treffe und noch einen Kaffee dazu bekomme. Was macht denn eine Plaza im Süden attraktiv? Sicher nicht die öffentlich-rechtlich besetzte Findungskommission. Freiburgs neuer Platz an der alten Synagoge, eine Flachwasserzone ohne einen einzigen Caféstuhl – ein Witz.
Noch einmal zur „öffentlichen Hand“: Ein Regierungspräsidium, das „Hinterwälder Wochen“ veranstaltet, um Schwarzwald-Wirten die Qualität einheimischer Rinder nahezubringen –was spricht dagegen?
Dass sie es nicht können. Wie will ein Regierungspräsidium kulinarische Qualität garantieren? Nicht mal „Slow Food“ schafft es, einen Führer herauszubringen, der wirklich zuverlässig die lohnenden Lokale listet, die loben Kraut und Rüben auf einer Seite. Die Beziehung zwischen Erzeuger, Wirt und Gast muss vertrauensvoll wachsen. Ich kann nichtnachvollziehen, warum es dazu eine öffentliche Institution braucht.
Im Sinne Ihres Credos wäre das doch ein Weg, um Hüttenwirte davon abzubringen, ihr Fleisch vakuumiert beim Großmarkt zu kaufen?
Mit zwei Aktionswochen im Jahr? Ich finde das ganze Konstrukt fragwürdig. Die Hinterwälder Weidetierhaltung ist wunderbar, Vorderwälder und Hochland-Rinderrassen sind es nicht minder. Und warum das Ganze nur wochenweise? Das klingt doch, als würde man über Ostern mit frischem Gemüse kochen und den Rest des Jahreswieder auftauen. Es bleibt die Frage, wie gute Qualität vom Erzeuger zum Wirtshaus findet. Und sich ein paar qualitative Mindeststandards absichern lassen? Ich sehe da eher private Initiativen, auch Sponsoring oder Stiftungen gefordert. Ein erfolgreicher Mittelständler, der seiner Gemeinde etwas Gutes tun will, kann für vergleichsweise kleines Geld ein Café oder Kleingastronomieinitiieren. In Spanien gibt es Fischereigenossenschaften, die ihren Fang überein Hafenbistro direkt unters Publikum bringen. Die Idee, dass ein Erzeuger den Gast an seiner Produktion teilhabenlässt, ist bei uns völlig unterentwickelt. Jeder redet von farm-to-table, Marktscheunenmit integrierter Gastronomiewären das passende Format zur Umsetzung. In Feldberg-Bärental entsteht mit Wälder:Genuß derzeit so ein Projekt.
Wie kann so etwas aussehen oberhalb von Straußen-Niveau?
Es muss keine große Oper sein, Getränke und Genussmittel von nebenan, eine reelle Grundprodukte-Küche, das reicht. Mich wundert, dass sich hierfür niemand findet. Stattdessen gibt es Spargelzelte und Oktoberfeste im Glottertal. Genau das meine ich aber nicht, ich meine das, was früher als gutbürgerlich galt. Gutes für erwachsene Bürger.
Steht es um die Produkte hierzulande besser als um die Verarbeitung?
Ja. Die Produkte haben sich extrem verbessert, in einer nie zuvor gekannten Breite. Sie kriegen inzwischen 20 Kartoffelsorten oder Tomaten, wie es sie in der Saison nicht einmal in Italien gibt. Selbst Sorten wie die „Berner Rose“ sind hier angekommen, zu Recht. Auf dem Teller im Restaurant liegt aber das übliche blassrote Fragment vom Großmarkt. Das ist einfach nur schwach.
Was wäre hier Ihr Anspruch an die Sterne-Gastronomie? Sie kritisieren vielfach die Kleinteiligkeit der Zubereitung als „Pinzetten-Küche“, ein Schäumchen hier, ein Farbtupfer dort. Wie kann die Küche für Gourmets sich weiterentwickeln?
Was ich nicht brauche, sind Teller-Tattoos und sinnfreie Künsteleien. Hervorragende Grundprodukte, die konstant auf hohem handwerklichem Niveauzubereitet werden – das bekomme ich eher selten. Jeder versucht sich heute an einem veganen Menü samt einer Garnitur Weltanschauung. Ohne Fleisch und Fisch auf hohem Niveau zu kochen, ist aber noch anspruchsvoller als mit. Da kommt es noch mehr auf Produktqualität und eine sichere Hand an, nicht auf Quinoa-Superfood-Trends. Sterne-Küche hat sich bei den Konventionen deutlich entschlackt, aber die große Liebe zum besten Produkt sehe ich nur bedingt. Fichtenspitzen an heimischem Moos auf Schieferplatte sind keine Innovation per se.
Was sind dann die Eigenschaften, damit ich in Zukunft als Gast 45 oder 65 Euro bezahle für einen Hauptgang?
Ich glaube, dass dieses Segment auf Dauer sehr überschaubar bleibt. Interessanter wäre es, ein in jeder Hinsicht wertiges Reform-Gasthaus aufzustellen. Es sollte nicht so personalintensiv und aufwändig sein, dass ein Paar erst ab 250 oder 300 Euro pro Abend dabeiist. Dagegen könnte man jetzt sagen, dass in Frankreich alles noch teurer ist; aber im italienischen Piemont bekomme ich ein opulentes Sonntagsmenü mitwunderbar kleinen Gängen für wenig Geld. Danach steht die Grappaflasche umsonst auf dem Tisch, das hat ebenfalls etwas mit Gastfreundschaft zu tun. Hier kostet ein doppelter Espresso fünf Euro und er ist dünn und bitter.
In europäischen Großstädten orientieren sich viele Kreativköche aktuell an Japan – weniger, was die Zutaten angeht, sondern die Zubereitung, auch die Tellergestaltung. Wie erklären Sie das?
Das kommt nicht von ungefähr. Eine raffiniert-leichte und produktnahe Küche ist länderübergreifend gefragt. Auch bei uns muss es nicht immer Carpaccio und badische Sushi sein. Warum nützen wir nicht die Trümpfe vor der Haustür? Früher standen in einem Landgasthof im Herbst auch mal frische Nüsse auf dem Tisch, dazu Holzofenbrot mit Salzbutter und Gutedel – einfach und delikat. Japan schön und gut, Produktnähe und Hingabe könnten aber auch regional kultiviert werden. Man müsste jetzt über das Verschwinden von Weinstubensprechen. Ein klassisches Format, das hier so viel Berechtigung hätte wie nirgendwo in Deutschland. Warum kommt im Schwarzwald die wunderbare Vielfalt von geräuchertem oder luftgetrocknetem Schinken und Speck so selten vor, wo ist der heimische Rohmilchkäse? Sonntagsbraten, Tagesgericht, Speckwirtschaft, Weinstube, diese Formate sind vor lauter Kreationen am verschwinden. Bei uns im Markgräflerland ist das ein Riesenproblem: Was nützt mir als tourenfreudiger Gast die schönste Landschaft, wenn ich mittagsmit einem Heitzmann-Weckle auf der Bank hocken muss?
Von Wolfgang Abel wird diesen Winter 2021 noch „Hoch hinaus“ erscheinen. Es ist die 9. Auflage seines erfolgreichen Südschwarzwald-Buchs und erschließt Landschaft und Touren, Gastronomie und Produzenten. Ein Kompendium zwischen „Alltagskultur und Alpenblick auf den Höhen zwischen Oberrhein und Hotzenwald“. Ab sofort vorzubestellen bei www.oaseverlag.de